Die Geschichte von Achilleus ist alt – sie steht am Anbeginn aller Geschichten: Homers Ilias, das Epos vom Krieg gegen Ilion, das man heute unter Troja kennt, ist nicht nur für die alten Griechen der Usprung der Literatur, sondern für das gesamte Abendland.
Allerdings sollte man meinen, dass es an Übersetzungen und Nacherzählungen mittlerweise reichlich genug gäbe. Man muss ja nicht gleich zurück gehen bis auf Johann Heinrich Voß, der für heutige Verhältnisse gar sehr gedrechselt und verworren klingt. Wegweisend aber sicher die Übertragung des genialen Wolfgang Schadewaldt (bei Insel), aber auch die schon einigermassen moderne Nachdichtung von Roland Hampe (bei Reclam).
Ich könnte aber nicht behaupten, dass ich jemals die Ilias in einem Zug durchgelesen hätte, so wie man einen Roman liest.
Raoul Schrott, der eher von seinen Romanen Finis Terrae oder Tristan da Cunhe oder der Gedichtsammlung Die Musen bekannt, ist gleichfalls Altphilologe – und hat in den letzten Jahren an einer zeitgemässen Übertragung der Ilias gearbeitet, die nun erschienen ist.
Raoul Schrott ist dieses Kunststück gelungen: seine Ilias liest sich flüssig, ohne Prosa zu sein, und ergeht sich nicht in Aneinanderreihungen von Genitiven und überflüssigen Adjektiven – von den zahllosen Füllwörtern ganz zu schweigen, die sich erübrigen, sobald einmal das antike Versmaß fallengelassen ist. Das tut dem Werk gewiss keinen Abbruch. Schrotts Sprache ist sehr nah an der Gegenwart, geradezu jung und jugendlich, daher muss man auch mit Worten rechnen wie
paris, du heldenparodie! du schönling taugst nur
was bei den weibern! (XIII, 770)
Bei Schadewaldt liest sich das noch so:
Unglücks-Paris! an Aussehen Bester! Du weibstoller Verführer!
Und bei Hampe recht ähnlich:
Unglücks-Paris, schön von Gestalt und Frauenverführer
Da wir nicht wissen, wie das Griechisch Homers seinen Zeitgenossen in den Ohren klang, ob schon damals gestelzt und getragen oder womöglich frisch und bodenständig, ist es heute schwer zu sagen, ob der eine oder der andere Stil näher am Original ist. Dabei spielt die grammatikalische Struktur seiner Poesie wenig Rolle – entscheidend wäre ein Vergleich mit der gesprochenen Sprache seiner Zeitgenossen. Für uns heutige liefert aber Schrott einen Homer, der in dieses heutige Leben passt. Ich konnte diese Ilias von vorn bis hinten durchlesen – in einem Zug. Und das ist für so einen alten Hadern bemerkenswert.