Wiener und Pariser Lear

Daran gibt es nun wirklich überhaupt nichts auszusetzen: Gert Voss gibt den Lear, das Burgtheater einen Nachmittag ersten Ranges. Die Inszenierung von Luc Bondy hält, was der Name des großen alten Franzosen verspricht.
Das Stück von der Undankbarkeit der Welt, von der Verzweiflung des alten Mannes, von der zerstörerischen Gier nach der Macht nimmt seinen Lauf, wie Shakespeare es schrieb. Hier wird dem Material kein Zwang angetan, auch die Übersetzung von Marie-Louise Bischofberger, Luc Bondy und Geoffrey Layton fügt sich perfekt ein zwischen dem Archaischen der Handlung und der Gegenwart, für die noch immer eine Botschaft enthalten scheint. Der Shakespear’sche Duktus, der niemals einem Ebenmaß folgte, noch jemals allein der Hochsprache verpflichtet war, bleibt weitgehend erhalten, wiewohl das Derbe, Zotige aus dem Original zu vermissen ist. Aber das ist ein Problem fast jeder Übersetzung.
Zwar lebt und stirbt dieser König Lear in einer nicht ortbaren Zeit, nicht in der Tiefe der britischen Geschichte, nicht im Heute, doch läßt das monumentale, aber ansonsten weitestgehend leere Bühnenbild von Richard Peduzzi Raum für Assoziationen.
Neben Voss herausragend Birgit Minichmayr als Narr, hölzern dagegen Klaus Pohl als Kent.
Faszinierend auch eine zeitliche Koinzidenz: arte brachte gestern abend Roi Lear in der aktuellen Pariser Version mit Michel Piccoli. Eine wirklich rare Gelegenheit, zwei Titanen in diesem wohl gewaltigsten Stück Shakespeares im nahen und direkten Vergleich zu sehen.
Die Pariser Inszenierung von André Engel spielt anders als die Wiener eindeutig in der Gegenwart, Piccoli leitet die ‚Lear Enterprises‘: Geld ist hier der Ausdruck von Macht, nicht mehr der Besitz von Land oder die Gefolgschaft der Ritter.
Die Fernsehverfilmung arbeitet noch stärker als die ursprüngliche Theaterfassung mit kinematografischen Elementen, Totale und Close-Up, Bewegung und Starre. Das Erlebnis ist also nicht nur, weil daheim vorm Bildschirm, ein vollkommen anderes. Aber man kann ja nicht deswegen nach Paris fliegen…

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