Schwer zu sagen, woher der größere Impuls stammt, die neueste Premiere der Wiener Staatsoper zu besuchen: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Kurt Weil und Bertolt Brecht ist ein zentrales Werk der Moderne im frühen zwanzigsten Jahrhundert, wenngleich zu Unrecht in den Hintergrund gedrängt von der Dreigroschenoper… UND Elisabeth Kulman, Angelika Kirchschläger und Christopher Ventris sind eine herausragende Besetzung.
Zunächst einmal: es wird beides nicht enttäuscht. Die Oper erweist sich auch heute noch als durchaus bühnentauglich, die Besetzung ist geglückt – bis auf einen schwer verständlichen Heinz Zednik als Ansager.
Was aber hat die Staatsoper dazu geritten, dieses Stück nach 80 Jahren endlich einmal auf den Spielplan zu setzen? Kapitalismuskritik? Man sollte der ehrrwürdigen Institution zugute halten, dass ihre Planungszyklen etwas zu lang sind, um sowas aus Aktualitätsgründen mal eben einzuschieben. Abgesehen davon ist das genau jene Dimension, die es nicht mehr zu leisten vermag.
Kurt Weill ist 1935 nach Amerika gegangen und bis zu seinem Tod 1947 nicht wieder heimgekehrt, Bert Brecht hat aus gutem Grunde nicht in Moskau sondern in Schweden und Kalifornien Asyl gesucht und auch nach dem Krieg die DDR rasch wieder gegen einen Wohnsitz in Österreich eingetauscht. Ihnen war die eigene Ideologie so wenig geheuer, dass sie lieber auf keinen Fall danach und schon gar nicht mitten drin leben wollten. Freilich, wer platten Stichworten lauscht, dem klingt es als wär’s wunderbarerweise zeitgemäß. Aber selbst Kapitalismuskritik, für die das Niveau ja wirklich nicht hoch angesetzt zu werden braucht, ist nicht einfach dadurch herzustellen, dass man möglichst häufig das Wort Geld in den Text stellt.
Elisabeth Kulman singt eine besonders in den Tiefen nahezu unauslotbare Leokadja Begbik, Angelika Kirchschlager eine Jenny Hill, die erfreulich hell klingt. Und beide fördern versteckte Werte aus einer Partitur zu Tage, die oft in Brecht-Weil’scher Tradition von Schauspielern gegeben wird, die das gar nicht bewältigen können. Mahagonny ist es absolut Wert, von guten Sängern interpretiert zu werden, Weills Musik weist hohe Dichte und komplexe Strukturen auf, die unter der scheinbaren Luftigkeit der bekannten Chansons gern übersehen werden.
Der momentane Wiener Siegmund Christopher Ventris singt den Jimmy Mahoney mit viel Kraft, aber auch gebotener Intensität im letzten Akt, Alberich Tomasz Konieczny den Dreieinigkeitsmoses fulminant. Herwig Pecoraro als Fatty lässt dem gegenüber Farbe vermissen.
Sonst kommt Hauspersonal zum Einsatz: der Koreaner Il Hong als Alaskawolf-Joe mit teils störendem Akzent, Clemens Unterreiner als unspektakulärer Sparbüchsenbill, Norbert Ernst dafür souverän als Jack O’Brian.
Die Damen Ileana Tonca, Valentina Nafornita, Ildikó Raimondi, Juliette Mars, Stephanie Houtzeel und Monika Bobinec geben ein nicht mehr durchwegs knusprig-frisches Mädchensextett ab.
Wirklich gut macht sich Ingo Metzmacher am Pult des stark reduzierten und um exotisches Instrumentarium ergänzten Staatsopernorchester: ihn an die Staatsoper geholt zu haben ist sicher ein Gewinn für das moderne Repertoire.
Die Inszenierung von Jérome Deschamps ist – man gewöhnt sich allerdings nie an diese Art französischen Nichtstuns – äußerst mager ausgefallen, ein wenig optisch aufgepeppt durch die phantasievollen Kostüme von Vanessa Sannino, die allerdings zu sehr zwischen der Plattheit von Alice in Wonderland und der dunkeln Eleganz balinesischer Schattenspiele chargieren. Der von Olivia Fercioni gestaltete Bühnenraum kann wiederum rein gar nichts: ein überdimensionaler Duschvorhang ist beileibe kein Ersatz für ein Konzept.
An so einem Abend muss man sich bei Ingo Metzmacher, Elisabeth Kulman und Angelika Kirchschlager extra bedanken.