Auch weltbewegende Umwälzungen nehmen irgendwann ihren bescheidenen Anfang, und bisweilen ist erstaunlich, auf wie randständig gelegenen Schauplätzen sich das Essentielle ereignet.
Der Literaturwissenschafter Stephen Greenblatt geht in seinem preisgekrönten Buch Die Wende – Wie die Renaissance begann den seiner Meinung nach frühesten Spuren einer Bewegung nach, die am Anfang der Neuzeit steht und wohl diese Neuzeit erst möglich machte.
Den wichtigsten Handlungsträger hat Greenblatt in dem Humanisten und Handschriftensammler Poggio Bracciolini ausgemacht: der Sekretär eines schismatischen Papstes war mit dessen Absetzung plötzlich freigesetzt und befand sich – am Ort des Konzils in Konstanz – inmitten einer fremden Welt, die ihm nichts desto trotz Vieles versprach. In den Bibliotheken süddeutscher Klöster hoffte er, Abschriften antiker Werke aufzustöbern; was denn auch gelang, wenngleich sich heute nicht mehr rekonstruieren lässt, in welchem.
Das zentrale Werk für die Geburt der Renaissance ortet Greenblatt in Lukrez‘ de rerum natura (Welt aus Atomen) – ein lateinisches Lehrgedicht, das den Lehren Epikurs folgend von fundamentalem Materialismus durchdrungen ist: keine Götter in der Welterklärung vorsieht, an eine unsterbliche Seele nicht glaubt und den Sinn des Lebens im Diesseits ortet. Das genaue Gegenteil also der herrschenden christlichen Ideologie, die so mittelalterlich war wie eh und je. In diesem Aspekt hat Greenblatt wohl recht: das muss ernsthafter Sprengstoff gewesen sein.
Die Erzählung mäandert danach aber durch verschiedene Bereiche, die nicht immer hilfreich sind für das Verständnis dessen, was der Autor im Untertitel verspricht: vor allem konterkariert sie die These von der Geburt der Renaissance aus der Wiederauffindung des lukrez’schen Lehrgedichts. Allerorten stößt Greenblatt selbst auf Fäden dieser sich entwickelnden Kulturbewegung, sodass die These rasch an Glaubwürdigkeit einbüßt. Dass der antike Text aber von hoher Wichtigkeit für die gesamte Neuzeit wurde, soll damit aber nicht in Abrede gestellt werden. Die Bedeutung des Werks ist wohl eher in der Aufklärung als in der Renaissance zu suchen.
Die Wende ist zweifellos gut geschrieben und streckenweise am Punkt der eigenen Geschichte, hat aber auch alle Nachteile amerikanischer Bestseller: es schein für ein ignorantes Publikum geschrieben, wiederholt sich allzu oft, spart nicht mit Superlativen, wo keine angebracht sind. Das sind aber die typischen Nebenwirkungen dieses ansonsten verdienstvollen Genres.