Immanenz als Abenteuer

Baruch Spinoza fristet eine Randexistenz in der philosophiegeschichtlichen Wahrnehmung, obgleich die Spuren seines Denkens sich durch die Systeme einer Reihe von nachfolgenden Philosophen ziehen. Nun ist Spinoza zwar nicht der Erfinder des Atheismus in der Philosophie, doch steht er am Anfang der neuzeitlichen Rückgewinnung dieses Territoriums von der unangenehmen Herrschaft der geschichtlichen Religionen.

Wie der von portugiesischen Marranen abstammende holländische Jude Baruch de Espinoza zur einsamen Höhe seines Denken kam, ist eine zutiefst in den Wirren von Reformation und Gegenreformation, spanischer Inquisition und Rekonquista wurzelnde Geschichte, so jedenfalls Yirmiyahu Yovel in seiner brillanten Monografie Spinoza: Das Abenteuer der Immanenz.

Yovel sieht die Ursprünge des Spinozismus nicht allein in den Büchern, die der junge Baruch las: was er hinterließ, verrät ausgezeichnete Kenntnisse des Schrifttums seiner Zeit und etlicher Vorgänger sowie auch mancher antiker Autoren, aber vor allem auch der jüdischen Philosophie bis zu seinen Tagen. Das allein, so Yovel, erschließt aber längst nicht die Hintergründe des gewagten philosophischen Schrittes, den der knapp vierundzwanzigjährige junge Amsterdamer Jude innerhalb weniger Jahre bis 1657 tat, als er am 27. Juli eben seiner Gedanken und Aussagen wegen aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen wurde.

Was philosophisch recht basal klingt, birgt freilich gewaltigen Sprengstoff für alle religiösen Menschen: Spinoza erklärt die Immanenz allen Seins, für ihn wird die den Menschen umgebende Natur inklusive seiner selbst zu Gott. Darüber hinaus, so der junge Spinoza, gebe es nichts.

Yovel macht in einem umfassenden Rückgriff auf die Situation der in Spanien und Portugal des 15. und 16. Jahrhunderts lebenden Juden sichtbar, wie die Zwangskonversion der Juden eine neue Glaubensgemeinschaft im Verborgenen produzierte, die dem Anschein und äußeren Gehabe nach sich als Christen gerierten, insgeheim jedoch die Erlösung nicht von Christus sondern aus dem Gesetz Mosis erwarteten, jedoch in Ermangelung des Kontakts zum rabbinischen Judentum ebendieses Gesetz immer weniger kannten.

Als sich für diese Marranen durch die neue Freiheiten in den Niederlanden eine Möglichkeit ergab, auszuwandern und erneut in jüdische Gemeinden einzutreten, mussten sie lernen, dass sie dem Volk und Gesetz, dem sie anzugehören meinten, gleichfalls entfremdet waren. Vor dieser doppelten Entwurzelung wird nachvollziehbar, wie eine Ablehnung des Religiösen an sich – wie sie innerhalb der christlichen Gemeinschaften aller Couleur sowie auch innerhalb des traditionellen Judentums keinesfalls denkbar war – dennoch in den Bereich des Denkbaren und Sagbaren rückte.

Spinoza wurde aus seiner Gemeinde ausgeschlossen und lebte in einer Umwelt, in der es keine Alternative zum Bekenntnis zu zumindest irgendeiner Religion zu geben schien, der Status eines weltlichen respektive säkularen Bürgers nicht vorgesehen war, neuerlich als Marrane – Yovel nennt ihn den Marranen der Vernunft.

Spinozas Stil ist alles andere den klar, seine Aussagen sind stark kaschiert und bedienen sich allerlei Masken und Sprechstilen, zu denen es unter anderem gehört, die Natur mit Gott gleich zu setzen, sodass viele seiner ketzerischen Aussagen nicht auf den ersten Blick erkenntlich wurden – nach Yovel gleichfalls eine Tradition des literarischen Marranentums, wie sich an entsprechender spansicher Literatur – unter anderem Fernando de Rojas‘ La Celestina exemplifizieren lässt.

Dennoch wurde Spinoza von vielen Philosophen sofort als derjenige gelesen und verstanden, der den transzendenten Gott tötete. Im Gegensatz zu Kant, der späterhin das Problem eher dogmatisch anging, es in Wahrheit aber nicht löste, ging Spinoza seinen radikalen Weg ziemlich direkt; allerdings hat er trotzdem nicht auf eine Erlösungsperspektive verzichten wollen, was ihn trotz vieler logischer Kunstkniffe wiederum zurück warf auf eine transzendente Denkfigur.

Daran haben sich viele nachfolgende Philosophen gerieben, ob sie sich nun direkt auf Spinoza beriefen oder es nur insgeheim taten: Immanuel Kant erwähnt ihn nicht, dürfte aber über die Vermittlung Moses Mendelssohns mit seinen Gedanken in Berührung gekommen sein.

Hegel erwähnt Spinoza mehrmals und beruft sich in allen Phasen seiner Entwicklung immer wieder auf ihn, nicht ohne ihn stets zu verbessern, wie es nun mal von Hegels Blickpunkt von der Vollendung der Philosophie aus zurück auf den Weg geradezu unausweichlich ist. Wenn einerseits Hegel die Inkonsistenz in Spinozas Ethik aufdeckt, so kann umgekehrt der frühere dazu dienen, die Abwege des späteren in die Transzendenz aufzudecken und zu kritisieren.

Über Hegel gelangt der Einfluss Spinozas schließlich sowohl in dessen linke als auch rechte Interpretationslinie, soll heißen über Feuerbach zu Marx und weiter bis Sartre, jedoch über Schopenhauer zu Nietzsche und in die Gegenwart. Der Gedanke der Immanenz ergreift zunehmend Besitz von der westlichen Philosophie, ja der gesamten Kultur, woran nicht zuletzt Sigmund Freud entscheidend beteiligt ist.

Yirmiyahu Yovel untertitelt sein Buch nicht umsonst Das Abenteuer der Immanenz – im Original heißt es gar: Spinoza and other Heretics. Hier liest sich Geistesgeschichte als ein Durchbruch der Immanenz, ganz anders als etwa in der recht mühsamen Studie von Charles Taylor über das säkulare Zeitalter, in dem permanent versucht wird, Beziehungen zu Transzendenz aufrecht zu erhalten, nur weil der Autor seinen privaten Katholizismus öffentlich problematisieren möchte.

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