Paranoide Vorsicht und coole Burschen

Das erste, was man hier gleich beim Verlassen des Airports mitkriegt, ist, dass Leute, die man noch aus Wien als entspannte Zeitgenossen kennt, ein Ritual von Vorsichtsmaßnahmen anwenden, kaum dass man ins Auto steigt, die einem Mitteleuropäer zunächst einmal paranoid erscheinen wollen: Gepäck, auch das Case mit dem Notebook, muss immer im Kofferraum verstaut werden, die Türen werden ringsum verriegelt, noch bevor man sich anschnallt.

Das hat natürlich den Sinn, von außen keinen Blick auf allfällig lohnende Beute zu erlauben, und andererseits dem Eindringen Fremder während des Haltens an Kreuzungen vorzubeugen. Paranoid? Zunächst wohl ja.

Das Zentrum von Cape Town in Richtung auf die Waterfront ist auf den ersten Blick friedlich, unterscheidet sich kaum von anderen Großstädten. Wohl, über allem thront mächtig der Tafelberg, das gibt ein erstes Feeling von Afrika.

Dabei ist hier absolut nicht Afrika. Die Südspitze des Kontinents bietet reinstes, mildes Mittelmeerklima, jetzt im Juni sogar etwas wie Winter, der dem auf Kreta nicht unähnlich ist. Aber Cape Town ist auch deswegen nicht Afrika, weil die politische und wirtschaftliche Lage kaum afrikanisch zu nennen sind: die Wirtschaft brummt, wenn auch zuletzt etwas langsamer, es wird allerorten gebaut, denn 2010 rückt näher, wenn Südafrika stolzer Gastgeber für den Weltfußball sein wird, neueste Autos und teure Limousinen auf den Straßen, geschäftige Menschen, reichhaltiges Angebot, internationale Waren, selbstbewußt zur Schau getragener Konsum – alles ist da.

Auf den zweiten Blick steckt die sprichwörtliche afrikanische Mißwirtschaft ihre Kopf hinter dem und jenem heraus; der Übergang zur schwarzen Regierungsdominanz hat zwar friedlich und ohne gröbere Disruptionen stattgefunden, doch wuchernde Bürokratie und Korruption haben unvermeidlich ihren Einzug gehalten.

Hier soll kein falscher Eindruck entstehen: die Bürokraten sind dieselben wie überall auf der Welt, hier in Südafrika sind sie auch nicht fauler als anderswo. Aber eben faul. Man kann es anders formulieren: Bürokratien neigen zum Nichtstun, da sie Entscheidungen meiden.

Dem zuständigen Ministerium für Energiepolitik ist seit kurz nach der Machtübergabe klar, dass in Südafrika der billigste Strompreis der Welt dazu führt, dass sich Investitionen in den Sektor nicht rentieren; ergo ist aus einigen Tendern, die zur Errichtung neuer Kraftwerke hätten führen sollen, kein Ergebnis erwachsen. Es gibt schlicht kein privates Kapital, das sich zu diesen Konditionen selbst verbrennen möchte. Und nun ist eingetreten, was vorhergesagt wurde und absehbar war: Strom ist Mangelware, der Export muss gedrosselt werden, die energieintensiven Minenbetriebe leiden unter Abschaltungen, es kommt auch in den Zentren zu Strmausfällen.

Andererseits wäre die notwendige drastische Erhöhung des Strompreises – angeblich kommt sie ja demnächst in einer Größenordnung von 50 Prozent, was aber bei weitem noch nicht ausreichen wird, das Dilemma aufzuheben – eine Art politischen Selbstmords des regierenden ANC, trifft eine solche Maßnahme doch gerade die eigene Clientele, die Masse der armen Bevölkerung, am härtesten. Zugleich aber natürlich auch die Industrie und vor allem die Minen, was wohl wiederum zu mehr Rationalisierung und weniger Arbeitsplätzen führen wird – ein spärliches Gut bei einer stetig wachsenden Bevölkerung vor allem junger Schwarzer, die mittlerweile vom aus dem Boden gestampften Schulsystem mit Grundlagen in die Welt entlassen werden, die ihre Erwartung besserer Lebensbedingungen lediglich untermauern, wenn schon nicht verwirklichen helfen.

Selbstredend ist das ein Pulverfass.

So ist wohl auch zu erklären, dass man hier durchaus der Meinung ist, die kürzlich über das Land gegangene Welt von Gewalt gegen Einwanderer aus anderen afrikanischen Ländern, die wohl mehrheitlich illegal im Lande seien, sich aber wirtschaftlich betätigen und teils bescheidenen Erfolg damit haben, sei der Regierung gar nicht ungelegen gekommen. Man muss sich nicht zu der Theorie versteigen, die Regierung habe das über ihre Gewerkschaften und anderen Vorfeldorganisationen extra angezettelt, denn es habe zu einer obwohl nur vorübergehenden Lösung eines Problems geführt, das eigentlich nicht zu lösen wäre; man kann dieses Land mit seiner endlosen Grenze quer über den Kontinent nicht gegen Migranten abschoten. Es ist für Einwohner aus all den mehr oder minder chaotischen Staatsgebilden und wirtschaftlichen Katastrophengebieten weiter im Norden nichts als verlockend, ihr Glück hier zu suchen, denn in Südafrika läuft die Wirtschaft, gibt es Chancen, bieten sich Lebensmöglichkeiten.

Diese Leute sind natürlich auch bereit, noch für Entlohnung zu arbeiten, und vor allem: egal was, die noch weit unter denen der Einheimischen liegt. So berichtet eine Bekannte, eine Putzfrau aus Malawi verlange bloß ein Drittel des Lohns, den sie bisher einer Einheimischen zu zahlen gehabt habe. Da sie allesamt illegal im Land sind, unterhöhlen sie zunächst einmal die informelle Wirtschaft.

Ernsthafte Maßnahmen stemmt die Verwaltung nicht. Da liegt es nahe anzunehmen, ein Wenig gezielte Gewalt könne einen Großteil von ihnen zur Heimkehr in ihre Länder bewegen. Doch auch das wird von kurzer Dauer sein, es sei denn, die Gewalt hielte an. Das Risiko dabei ist aber wohl, dass die Richtung der Gewalt, so sie prolongiert würde, nicht lange gelenkt werden könnte. Denn die Migranten sind nicht das Problem, so wie sie es nirgendwo auf der Welt sind; sie sind bloß das erste, weil billigste Ziel einer konzeptlosen Politik.

Nach diesen paar Tagen ist mir auch persönlich klargemacht worden, dass manche Vorsicht keine blanke Paranoia ist: ein paar Meter von der Hoteltür, in Sichtweite zur als sicher geltenden Waterfront, quasi unter den Augen der an jeder Kreuzung stehenden Securities, durfte ich unfreiwillig spenden; ich habe mich dabei besonders schlau aufgespielt und den fünf Jungs die paar Rand gegeben, die ich lose im Hosensack trug. Der Schaden belief sich auf etwa 17 Euro. Ich weiß aber nicht, welche Diskussion vielleicht noch eingetreten wäre, hätten die Kerle die Zeit dafür gefunden; sie haben mich halt im Vorbeigehen noch abgestaubt, während schon ein paar Sicherheitsleute etwa 200 Meter weiter weg hinter ihnen her waren. Coole Burschen, fürwahr.

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