Die Welt schreitet voran. Genau genommen tut sie das immer und hat es natürlich immer schon getan. Wenn es auch bisweilen den Anschein hat, als möchten Entwicklungen rückwärts verlaufen. War die Uraufführung der Salome 1905 in Dresden ein rauschender Erfolg – mit angeblich 39 Vorhängen -, so geriet die wenig später stattfindende erste Inszenierung an der Metropolitan Opera zum Skandal, und das Stück wurde in den USA für geraume Zeit verboten (bigott waren sie dort ja offenbar immer schon).
Inzwischen gehört die Oper von Richard Strauss aber auch an der MET zum oft gespielten Repertoire. Und in dieser Saison gelingt den New Yorkern mit einer Umsetzung von Jürgen Flimm ein Höhepunkt, der sogar die Festwochenaufführung von 1992 (Luc Bondy, mit Bryn Terfel und der bis heute unvergleichlich erotischen Catherine Malfitano) um Längen schlägt – vielleicht aber auch – zumindest zum Teil -, weil inzwischen eineinhalb Jahrzehnte ins Land gegangen sind.
Der überwältigende Eindruck verdankt sich vor allem einer brillianten Karita Mattila, die nicht nur stimmlich sondern auch körperlich vollen Einsatz gibt, bis hin zu einem zwischen Versatzstücken des klassischen Pas-de-deux und profanem Striptease changierenden Tanz der sieben Schleier. Sie ist in kecken und lüsternen Momenten präsent und authentisch, in jenen des Wahns geradezu dämonisch – glaubhaft als Mädchen wie als Bestie, wenn man ihr auch die verzogene Unschuldsgöre niemals abnimmt. Sie singt die schwierige Partie mit langem Atem und sprachlich korrekt – was bei Catherine Malfitano – oder Teresa Stratas – nicht immer der Fall war.
Ihr gegenüber verheddert sich Kim Begley als Herodes mal ahnungsschwanger, mal geifernd vor Lust, ins aufziehende Verderben.
Dagegen verleiht der Finne Juha Uusitalo dem Jochanaan eine ganz und gar nicht rollengemäße Wotansstatur – wenn er auch gesanglich über jeden Zweifel erhaben ist und die Macht des ungeliebten Propheten stimmgewaltig manifestiert. In dieser Inszenierung erscheint es fast undenkbar, dass dieses Stück jemals in eine andere Gesellschaft als die Amerikas hinein geschrieben worden sein könnte.
In der Überzeichnung der schrillen Königsgattin nahezu perfekt auch Ildikó Komlósi, wenn auch ihre Herodias eher vom Ende des Lebenszyklus eines Sexmonsters herüberzublicken scheint. Was aber ihre Gesangsleistung keineswegs schmälert. Nicht zu vergessen: Joseph Kaiser als Narraboth und Patrick Summers am Pult.
Man spürt schon recht bald, dass sich hier eine neue Referenz vor einem auftut. Und wieder einmal beweist sich, dass eine Fusion des Gesamtkunstwerks Oper mit der Erlebnisintensität eines Kinosaales gar nicht von übel ist. Man muss ja nicht gleich eine Verfilmung daraus machen; eine Live-Übertragung in High Definition TV ist in bequemen Polstersesseln durchaus ein unschlagbarer Genuss. Noch dazu, wenn alles klappt und die künstlerische Leistung allererster Güte ist. Ich habe mir im Anschluss gleich noch meine DVD der Luc Bondy-Version von 1992 angesehen: die war – trotz einer glühenden Catherine Malfitano – bei weitem nicht so gut. Nicht nur, weil man sich an HDTV schneller gewöhnen kann, als einem lieb ist…
Dass daneben die Staatsoper mit ihrer Salome (Boleslaw Barlog) aus 1972 recht alt und mopsig aussieht – und auch keinerlei Anziehungskraft ausüben kann – ist leider eine Realität. Man vertut hierzulande zwei Saisonen lang sein Geld mit einem Ring, der zu den erwähnenswerten nicht zu zählen sein wird. Ceterum censeo: es wird Zeit für einen neuen Direktor!
Ein Gedanke zu “Salome in der Neuen Welt”