Luftig aufgeschlagener Eierschaum

Jules Massenet ist notorisch bekannt dafür, aus grossen Stoffen eine Art von luftig aufgschlagenem Eierschaum zu fabrizieren. Ganz und gar aufdringlich gelungen ist ihm dies mit dem Werther, den ich das abstruse Vergnügen hatte, heuer in Cape Town zu sehen. Am weitesten weg vom Schaumigen gelangte er mit der fabelhaft durchkomponierten Manon. Aber auch die französische Grande Opéra hat ihre Fans. Ich gehöre nicht dazu.

So war es natürlich die Frage, was ich mir von seiner Thais erwarten sollte… Live aus der MET mit der prächtigen Renée Fleming in der Titelrolle und dem mir nicht gerade sympathischen Schiefmaul Thomas Hampson als Athanael. Und inmitten eines Publikums, das den Altersdurchschnitt des Cineplexx auf Monate hinaus in ungekannte Sphären hebt. Alsdern, gemma! tät der Wiener sagen.

Der auch hierzulande schon vereinzelt in Erscheinung getretene Jesús López-Cobos am Pult, dazu stammen die Kostüme von Ms. Fleming von Christian Lacroix. Beides lässt mich erneut ein Wenig Hoffnung fahren lassen. Dann ist’s aber gar nicht so schlimm…

Presenter des Abends ist überraschenderweise Placido Domingo, der es aber nicht der Mühe für wert befindet, seinen (kurzen) Text zu memorieren, er liest lieber seine Moderationen und die Stichworte zu den Interviews vom Blatte ab.

Tom Hampson singt dann formidabel, man könnt‘ ihn direkt wieder richtig lieb haben! Und Renée Fleming macht – nicht nur gesanglich – eine beeindruckende Figur, da verzeiht man auch dem Herrn Lacroix seine Mitwirkung. Wirklich daneben ist einzig Michael Schade, der den Nicias so richtig überhaupt nicht ins Spiel zu bringen versteht. Aber das mag ihm ja auch die Regie verleidet haben.

Denn an einem Punkt irgendwo in der Krümmung des Raumes treffen sie einander wohl aufs Harmonischte: die Regie und das Stück, bis dahin jedoch laufen sie hoffnungslos parallel nebeneinander her. Oder kann man das eine naturalistische Inszenierung nennen? Bei Wagner müsste man – und ganz von der Hand zu weisen ist es nicht. Das führt allerdings dazu:

Das Libretto von einem gewissen Louis Gallet nach Anatole France, der den Stoff wiederum von der frühhochmittelalterlichen Dichtin Hrotsvit von Gandersheim hatte, galoppiert gezielt an jeglicher Vernunft vorbei. Athanael zieht aus – warum nur? -, die Hetäre Thais zu seinem Gott zu bekehren; genau genommen zieht er ein, in die Stadt Alexandria nämlich, zu seinem einstigen Freund und Pappkameraden Nicias, der – nein, was für ein Zufall – sich grade um sein restliches Vermögen eben jene Thais leisten kann, für einen letzten Abend.

Magic Twist No. One: Hetäre fühlt sich sooo leer. folglich ist es nur logisch, dass sie anstandslos konvertiert – Massenet findet das immerhin so zwingend, dass er es nicht einmal darstellt, er verbirgt es hinter einem instrumentalen Zwischenspiel mit schmelzigem Violinsolo, der unter Geigenschülern aller Kontinente berüchtigten Meditation. Sie folgt Athanel in die Wüste, geht dort ins Kloster und wird binnen 20 Tagen eine Heilige.

Magic Twist No. Two: Athanael hat sich an der Welt infiziert, er verfällt der Liebe – „El – Ypsilon – Be – E“, würde Stan Laurel hier präzisieren.

Die Anlage des Stoffes würde eine großartige Geschichte von zwei einander kreuzenden psychologischen Dramen abgeben, hier aber wird fluggs an Gott gestorben. Opernstoffen gegenüber darf man keine Ansprüche an Intelligenz erheben, ich weiss.

Der Regie von John Cox jedoch ist vorzuwerfen, dass sie genau diese unselige Banalität auch inszeniert, geradlinig, ohne sich eine eigene Meinung zu dem Konflikt – oder den Konflikten – zu bilden, die auf der Bühne abgehen — könnten. So sind Renée Fleming und Thomas Hampson gezwungen, all den Unsinn, den sie singen, gleich auch noch darzustellen. Tief im zweiten, inzwischen hoch-religiösen Akt, nach der schon bezeichneten Meditation, muss man dann in Retrospektion auf den ersten Herrn Lacrois direkt dankbar sein: sein Beitrag ist das wahrhaft Atemberaubende an dieser Angelegenheit gewesen, er hat Frau Fleming ein geradezu flammendes Leuchten verliehen. Merci mille fois, M. Lacroix!

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