Einer, der die Thematik rund um die aktuellen Erkenntnisse der Neurobiologie in ihrem Spannungsfeld an der Grenze zur Philosophie grundlegend beleuchtet, ist Michael Pauen: seine Grundprobleme der Philosophie des Geistes: Eine Einführung bieten genau das, eine grundlegende, den Bereich weitum ausleuchtende einführende Darstellung.
Dabei geht Pauen weniger auf die Neurobiologie selbst ein, aber das scheint bei Philosophen schon die eher traditionelle Haltung den Wissenschaften gegenüber zu sein – man weiss schließlich, dass man alles weiss. Die Kollegen aus der (vermeintlich) denkenden Zunft halten es genauso: die Liste der Einwände gegen jeden Primat der Biologie sprechen die deutliche Sprache manifester fachlicher Entfernung.
Ein absoluter Favorit ist dabei das von Thomas Nagel 1974 präsentierte Gedankenexperiment What Is It Like to Be a Bat? – mit dem bewiesen werden soll, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen der naturwissenschaftlichen (Er-)Kenntnis über einen bewusstseinsfähigen Organismus und den Erfahrungen, der Selbstwahrnehmung usw., die dieser Organismus selbst macht, bestehen bleibt.
Bestechend daran – wie auch an den meisten Gedankenexperimenten – ist die recht brutale Konstruktion des Arguments: wäre ein Bewusstsei denkbar, das anders als das unsere funktioniert oder zumindest funtionieren könnte, dann wäre die Kenntnis der biologischen Grundlagen kein hinreichendes Modell, um es zu erklären. Nun ja: das Bewusstsein einer anderen Spezies mag anders funktionieren oder auch nicht, wir wissen es nicht. Die biochemisch-physikalischen Grundlagen lassen sich im Vergleich mit der Fledermaus jedoch recht ähnlich den unseren darstellen, die Biologie scheint sich dabei recht wenig um irgendwelche Gedankenexperimente zu kümmern.
Wir können nicht wissen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Wir haben keine Vorstellung davon, wie man mit Kurzsichtigkeit und Ultraschall zu einer Weltsicht kommt – und welche das wäre.
Daraus leitet Nagel ab, dass auch die Differenz zwischen physiologischem und phänomenalem Bewusstsein ein Bestandsrecht habe. Da muss noch etwas sein – das Gehirn allein kann’s nicht gewesen sein. Aber das Argument geht eigentlich ins Leere: es setzt voraus, dass es eine Ebene der Objektivität auch in der intersubjektiven Erfahrung gibt. Doch nicht einmal zwischen Menschen ist klar, was wer empfindet, wie ein vermeintlich gleicher naturwissenschaftlicher Vorgang vom Individuum je empfunden wird.
Die Philosophie selbst ist ein Musterbeispiel für die vollständige Verwirrung, die ausserhalb eindeutig definierter, exakter Sprachen – wie in der Mathematik – herrscht: es gibt keine zwei Philosophen, die jemals mehr als ähnlich gedacht haben. Ein Grund dafür, warum das Phänomen Bewusstsein nicht greifbar ist, obwohl es allerorten doch wohl vorhanden zu sein scheint, liegt darin, dass es offenbar so viele Bewusstseine gibt wie Individuen.
Bewusstsein ist hingegen als Funktion des biologischen Apparats gut darstellbar: es ist notwendig für Lebensformen, die mehr als vegetativ ausgerichtet sind. Wir könnten uns nicht von Ort zu Ort bewegen, wie wir es mit den Tieren gemeinsam haben, noch könnten wir handeln im engen körperlichen Sinn von Bewegungen unserer Extremitäten: es ist dazu notwendig, uns selber von der Umwelt zu unterscheiden. Daher ist es gut vorstellbar, dass die Evolution der Tierwelt ein Bewusstsein hervorbringen konnte oder musste, weil es als Inhalt des physiologischen Steuerungsapparats eine grundlegende Funktion erfüllt. Wohl weniger hat die Evolution das Bewusstsein hervorgebracht, um es dereinst in Eins mit dem Kosmos zu bringen oder derlei Firlefanz mehr.
Solche Gedankenexperimente gibt es im Zusammenhang mit der Philosophie des Geistes noch etliche mehr, und keines davon ist geistreicher. Sie beruhen in der Regel darauf, eine Situation zu setzen, unabhängig davon, ob sie in der Realität jemals als vorkommend festgestellt werden konnte.
Frank Jacksons tellte 1982 ein solches Szenario vor: die brilliante Neurobiologin Mary weiss alles über das visuelle System des Menschen – hat aber noch nie Farbe gesehen, weil sie seit ihrer Geburt in einer ausschliesslich schwarzweissen Umgebung lebt und aufgewachsen ist. Ergo weiss sie, wie das Farbsehen funktioniert, aber nicht, wie sich das Sehen von Farben anfühlt. Welche Überraschung wird sie erleben, wenn sie das erste Mal eine Farbe zu sehen kriegt? Das ist nun wahrhaft eine denkerische Leistung!
Das Spiel des Gedankenexperiments funktioniert so: man darf nicht diskutieren, ob es so eine Person mit einer solchen Problemstellung überhaupt geben kann, uns hat zu genügen, dass sie denkbar ist. Kein Einwand gültig. Wenn man aber diese Hürde mal genommen hat, kann man wunderbar daraus ableiten, dass ausser der physiologischen Grundlage noch etwas zweites existieren muss.
Es ist im Detail sehr viel über dieses Gedankenexperiment diskutiert worden, vor allem auch, dass es sich hiebei um die Ebene des Wissens und nicht um die Ebene der Tatsachen drehe, was rein gar nichts darüber aussagt, ob es nun etwas zweites neben dem Körperlichen gibt oder nicht. Im Kern allerdings sind die meisten dieser Experimente – auch das des invertierten Spektrums oder der abwesenden Qualia – ziemlich willkürliche Konstrukte. Philosophen wie Moritz Schlick, Ludwig Wittgenstein oder auch William James (und sehr viele andere) haben sich dafür stark gemacht, den Unsinn aus der Philosophie zu verbannen. Dazu gehört sicherlich alles an Gedankenexperimenten, die keinen Fuss auf den Boden der (uns zugänglichen) Realität kriegen.
Die Frage, wie sich’s aus einer Fledermaus heraus in die Welt schaut, ist simulierbar, wie sich das im Bewusstsein der Fledermaus anfühlt, hingegen absurd. Aber Fledermäuse gibt es immerhin. Die Frage, wie eine Scharzweiss-Mary auf Farbe reagiert, ist schlicht überflüssig – es gibt keine solche Mary und kann nie eine geben. Wenn heutige Philosophen nicht mehr anzubieten haben, sich aber gleichzeitig beharrlich weigern, die Details der Neurobiologie kennen zu lernen, stellen sie sich gleichermassen ins Aus wie die aristotelischen Scholastiker im Angesicht von Giordano Bruno.
Was geht eigentlich im Kopf eines Philosophen vor? Wie fühlt es sich an, einen gut bezahlten Lehrstuhl inne zu haben, bei dem es nicht so sehr darauf ankommt, was man verzapft? Als Antidotum zur Philosophie des Geistes sei Gerhard Roth empfohlen. Seine Darstellung der wissenschaftlichen Seite dieser Diskussion ist bei weitem erhellender, als es eine Darstellung der Geistesphilosophie je sein kann.
An der Einführung Michael Pauens in die Materie ist immerhin positiv zu bemerken, dass sie recht umfassend ist, alle Argumente eingehend diskutiert und sich um eine ausdifferenzierte Position bemüht. Eine Stellungnahme ist von ihr nicht zu erwarten.