Dass die Revolution von 1917 nicht nur Geldsäcke und Aristokraten aus Russland vertrieb, sondern auch Künstler, Schriftsteller und Musiker, ist nichts Neues. Dass man in den Künsten in den Zwanziger Jahren gerade in Moskau und St. Petersburg kompromisslos modern zu Werke ging, auch nicht. Die wahre Moderne aber, die dem gesamten Jahrhundert ihren Stempel aufdrücken sollte, spielte sich in jenen Jahren in Wien und in Paris ab – stiller dafür grundsätzlicher in Wien, schriller und explosiver in Paris.
MIt seinem Weggang aus Russland besiegelte Sergej Prokofiew das Ende seiner russischen Phase – und der Sog der Pariser Avantgarde, in der auch nach dem Weltkrieg viele Russen wie Stravinskij oder Diaghilew am Werke waren, zog auch ihn an. In diese Zeit fallen auch seine – neben Der Spieler nach Dostojewski – bekannteren Bühnenwerke Die Liebe zu den drei Orangen und Engel aus Feuer.
Das Wiener Odeon, sonst eher Heimstatt der skurrilen Tanz-Performances des Serapions-Theaters, bietet ein weiteres Mal dem Regisseur Philipp Harnoncourt Raum für eine Produktion – nach Marin Marai’s Alcione vor zwei Jahren ist es nun eine klassische moderne Oper geworden: eben der Engel aus Feuer…
Prokofiew hat eine stark rhythmisierte, jedoch von flimmernden und irisierenden, ja lyrischen Momenten durchsetzte Partitur geschaffen, die den Hörer wie in einem Strudel tiefer und tiefer hinein zieht in die reichlich abstruse Welt der Renata: sie scheint verrückt, dann wieder besessen, zwischendurch fast wie die einzig Normale, und dennoch hat sie den Teufel in sich. Ob sie sich ihren verlorenen Liebhaber – der in ihren Erzählungen vieles von einem Engelwesen hat – nur einbildet, bleibt ungeklärt. Ritter Ruprecht, der sie zunächst aus Instinkt beschützen will, verfällt ihr und geht mit ihr auf die Suche nach dem Verlorenen, die sich als Verstrickung in die Fänge und Absurditäten der Magie gestaltet. Bis der Ritter sich für sie duelliert und schwer verletzt wird, wonach schlussendlich Renata ins Kloster geht, allein um dort von der Inquisition angeklagt und verbrannt zu werden.
Eine skurrile Geschichte, die aber Prokofiew eine ideale Folie für seinen musikalischen Kosmos geboten zu haben scheint. Mario Formenti leitet das Ensemble Phace – Contemporary Music sicher durch die reichhaltige Landschaft, leider verhindert der ehemalige Börsensaal – und die Aufstellung des Orchesters in einer Ecke desselben – eine Hör- und Verstehbarkeit der diffizilen Klanggebilde und reduziert den Hörer auf den starken rhythmischen Taumel und die en face agierenden Sänger. Insgesamt aber lebt der Abend von dieser Musik – dank einer gelungenen Reduktion der Orchestrierung auf Kammerensemble durch den österreichischen Komponisten Wolfgang Suppan.
Die junge Russin Elena Suvorova – studierte am St. Petersburg Konservatorium, 2007 Preisträgerin beim Gesangswettbewerb in Passau, 2008 Schwertleite beim Ring in Lübeck – singt die Renata intensiv, über alle Register dieses wechselhaften Charakters, mit eindrucksvoller Stimme.
Ihr zur Seite Ludovic Kendi als Ruprecht, der auch die gesanglich anspruchsvollen Partien meistert, und in der Doppelrolle Knecht und Inquisitor Ivaylo Guberov, der sich im Schlussakt zu wahrhaft dämonischer Größe aufschwingt.
Weiters singen Viktor Aleshkov und Alexander Puhrer das Duo Mephhisto/Faust – in Doppelrollen auch den Magier Agrippa respektive den Matthias – sowie Martina Prins die Äbtissin/Wahrsagerin, Yigal Altschuler den Glock und den Arzt, Denise Schönefeld die Wirtin.
Die Damen des Wiener Kammerchor singen nicht nur die ausgefielten Partien der Nonnen zwischen mittelalterlich russischer Kirchenharmonik und peitschender Moderne, sie agieren auch trefflich in den witzigen Kostümen von Ulrike Kaufmann.
Das Serapionsensemble ergänzt die Aufführung performativ, mit witzigen Einlagen und quasi tänzerisch integrierten Umbauten.
Das zeigt wieder einmal eindrücklich, dass abseits riesiger Budgets und grosser Namen Musiktheater in Perfektion möglich ist – und dass es keineswegs ein Schaden ist, wenn kleine Compagnien sie auch die Suche nach seltenen Stücken begeben. Dabei kommt oft etwas heraus, das keinen Vergleich mit den Häusern an Ring und Wienzeile zu scheuen braucht. Einziges Manko für Oper ist der Saal, so abenteuerlich anders er als Location auch sein mag.