Da war er noch gar nicht so alt, wie er heute ist: der Brite Harrison Birtwistle schrieb 1996 einige Variationen namens Bach Measures auf Materialien von Johann Sebastian Bach, die eine ganz und gar kuriose Mischung geworden sind: klingt es eingangs, als spielte das Modern Jazz Quartett á la Bach, so taumelt der Thomaskantor bald auch übern Jahrmarkt – jedenfalls klingt es so, um dann grauenvoll vorweihnachtlich zu werden, so richtig Advent in Tirol mitsamt Turmbläsern und Ringelspiel. Das hat sich der alte Bach nicht verdient, möchte man sagen; doch vor allem hat sich’s der alte Birtwistle nicht verdient, dass demselben von demselben solches angetan wird. Das war einfach nur ganz ganz furchtbar.
Umgekehrt zeigte derselbe Birtwistle in Virelai (Sus une fontayne) bei einer Bearbeitung eines spätmittelalterlichen Lieds aus der Feder von Johannes Ciacconia geradezu genialische Züge, einen hintergründigen Humor und die gewohnte Meisterschaft in der Behandlung eines größeren Ensembles.
Sein Cantus Iambeus schliesslich ist Neue Musik auf Höhe der Zeit: im Grunde eine Toccata, doch diesmal ohne jeglichen Firlefanz: ein dichtes Stück, das Material aus vielen vorhergegangenen Stücken Birtwistles integriert und transponiert, diese übereinander schichtet und so Lebenswerk zu wenigen Minuten verdichten. Doch waren es intensive, miterlebenswerte Minuten!
Mitglieder des Ensemble Kontrapunkte spielten unter der Leitung von Peter Keuschnig – dem leider auch der Missgriff der Auswahl jener Bach Measures geschuldet ist, die besser unerklungen geblieben wären, noch dazu in einem Konzert von wien modern, zu dem das Publikum exakt für Neue Musik kommt, es also keiner Verbrämungen und Einkleidungen bedarf wie sonst im Konzertbetrieb.
Vor der Pause und dem Birtwistle-Block erklangen das faszinierend analytische Réadjustement vom 1983 in der Türkei geborenen Oguz Usman sowie die Atrées von Iannis Xenakis.
Altmeister Xenakis zeigt, dass es neben der mikrotonalen Welt noch andere Ausgänge aus dem seriellen Dilemma gibt: seine auf streng mathematischen Verfahren beruhenden Kompositionen – man sagt ihnen nach, ein Computer könne sie be- oder zumindest nachrechnen – entwickeln neben einer zwingenden Logik recht eigenwillige Klangräume. Was man vielleicht in den 60er und 70er Jahren belächelt haben mag, klingt heute gültig.