Man soll ja nicht gleich das Ende der Philosophie ausrufen. Solches hat sie schon des öfteren überlebt. Allerdings ist es mehr ein Vegetieren, denn zu Fortschritten, wenn man das nicht teleologisch sondern durchaus im Sinne des Schreitens in irgendeine Richtung verstehen will, hat sie es auch nicht gebracht.
Im Grunde sind wir nicht weiter, als die antiken Philosophen es waren. Erkenntnis und Erkenntniszugewinn geschieht vor allem ausserhalb der Philosophie in den sogenannten konkreten Wissenschaften, den Naturwissenschaften. Sie sind aus dem Nachdenken der Philosophen über die Welt erst entstanden, aber sie sind gelehrige Schüler und haben in ihren je eigenen Disziplinen das philosophische Denken längst überholt. Der Philosoph weiss in der Regel nciht mal mehr, wovon die Rede ist. Und allmählich nimmt eine neue Wissenschaft der Philosophie wiederum eine Kernfrage aus der Hand.
Die Neurobiologie schickt sich an, das Thema Dualismus grundlegend zu beantworten – und zu erledigen. Die meisten, nicht an den Details interessierten Philosophen scheinen das aber noch nicht wahrzunehmen. Es wird keine Diskussionen um Rationalismus und Empirismus mehr geben.
Gerhard Roth bietet in Fühlen, Denken, Handeln eine fundierte Zusammenfassung nicht nur des (nahezu) aktuellen neurobiologischen Kenntnisstandes sondern auch eine eingehende Diskussion der Implikationen, wie sie in die Domäne der Philosophie hinein reichen. Allerdings geht Roth an die Philosophie gewissermaßen mit Glacéhandschuhen heran.
Wenn Denken geschieht, dann denkt das Gehirn. Dieses ist ein biologisches Organ, in dem physikalisch-chemische Prozesse ablaufen. Seine Fenster nach draussen sind die Sinne. Allerdings ist klar – seit Kant eigentlich auch den Philosophen -, dass es keinen direkten Übergang von der Welt draussen – Kants Ding an sich – nach drinnen gibt; hier werden physikalische Gegebenheiten in Signale umgewandelt und ausschließlich diese verarbeitet.
Nun bedeutet das vielerlei: wir haben nur mittelbaren Zugang zur Welt, ja sogar zu uns selber, da wir auch unsere Introspektion nur indirekt über unseren Wahrnehmungsapparat vornehmen. Wir können einen Gedanken nicht zugleich denken und analysieren – wir können uns also quasi beim Denken nicht zuschauen. Das ist eine Gegebenheit.
Können wir aber daraus irgendetwas über das Problem des Drinnen und Draussen ableiten? Wenn es darum geht, den alten Streit zu schlichten: nein, absolut nichts. Wenn es darum geht, uns aus dem Dilemma zu befreien: ja, denn die Frage ist sinnlos. Das haben schon viele angemerkt, Moritz Schlick, Ludwig Wittgenstein, die amerikanischen Pragmatisten.
Fragen, die man nicht diskutieren kann, brauchen auch nicht gestellt zu werden. Eines ist – mit William James gesprochen – recht klar:
what difference would it practically make to anyone if this notion rather than that notion were true?
Wir würden es nicht mitkriegen, wäre die Welt da draussen real und ziemlich genau so gestaltet, wie wir sie wahrnehmen, so viel auch dafür sprechen mag, da schließlich unser Trachten und Handeln meist zu den erwarteten Ergebnissen führt. Wir würden aber auch nicht dahinter kommen, wäre diese Welt samt und sonders Chimäre, eine Illusion, die unser Bewusstsein oder unser Gehirn oder was oder wer immer uns vorgaukelte. Die ganze Frage hat in etwa so viel Bedeutung wie die Suche nach dem Monster von Loch Ness. Dass man darüber reden und publizieren kann, verleiht dem Thema kein Jota mehr an Sinn.
Viel spannender ist aber die Frage, ob da ausser dem Gehirn und seinen physikalisch-chemischen Prozessen noch irgendetwas anderes ist… Gibt es neben der materiellen die intelligible Welt?
Derzeit fallen die Aktien des Idealismus merklich. Stichhaltige Argumente sind für ihn nicht beizubringen. Da gibt es einerseits das sture Beharren darauf, dass die Inhalte des Denkens nicht auf die darunter liegende Biologie reduzierbar wären. Aber es gibt genau zwei Umstände, unter denen sich die idealistische Position halten liesse: die Elemente, aus denen die Inhalte des Denkens bestehen, harren noch ihrer (wissenschaftlichen) Entdeckung; oder sie sind per definitionem der (wissenschaftlichen) Erfahrung nicht zugänglich. Beides verlangt ein hohes Maß an Vertrauen.
Auch nicht-reduzierende Auswege aus dem Dilemma sind vorgeschlagen worden. Sie klingen aber allesamt nicht wirklich wie Lösungen. Am ehesten noch dort, wo man sich um den Erweis der Irrelevanz der Fragestellung bemüht. Was uns an den Anfang zurückführt: über welche Kompetenzen – wenn man von der Inkompetenzkompensationskompetenz nach Odo Marquardt einmal absieht – verfügt denn die Philosophie noch?
Die Kosmologie – und mit ihr die Physik – sind ihr recht früh abhanden gekommen, Logik und Mathematik gleichfalls. Die Naturwissenschaften gelangen zu einer Einschätzung ihrer Ergebnisse auch ohne die Mithilfe der Wissenschaftstheoretiker; ihre Spitzfindigkeiten finden wenig Eingang in die Praxis der Forschung.
Der Ethik endlich wurde an einem winzigen Ort in Polen mit unvorstellbarer Unmenschlichkeit jede Grundlage entzogen; man muss von Glück reden, wenn es bisher immer noch einen gab und gibt, der die Kraft hat, die ärgsten Auswüchse hintanzuhalten. Wie? Um ehrlich zu sein: mit Gewalt; anders waren die Nazis nicht zu stoppen, die Serben nicht – und werden vermutlich auch die Taliban nicht zu stoppen sein. Wir dürfen nur froh sein, wenn derjenige die Oberhand gewinnt, der bereit ist, uns eher leben zu lassen, wie wir das für richtig halten.
Bislang blieb der Philosophie noch die Domäne des Geistigen. Je näher aber die Neurobiologie mit ihren Modellen einer Erklärung geistiger Phänomene kommt, desto enger wird es um die Philosophie. Sie könnte als bloße Poesie enden – wie die Religion.
Roth scheut vor jeder Entscheidung der Fragestellung zurück, denn er hält die subjektiven Erlebniszustände für irreduzibel auf den materialen Untergrund. Seinen Ausweg nennt er nicht-reduktionistischen Physikalismus:
Selbst wenn man (…) keinen neurobiologischen Reduktionismus vertritt, so läßt sich doch behaupten, dass die neurobiologischen Erkenntnisse den wahrnehmenden, denkenden, vorstellenden, erinnernden, fühlenden und wollenden Menschen als einen Gesamtprozess begreifen lassen, der sich innerhalb bekannter, deterministisch wirkender Naturgesetze vollzieht und innerhalb dieser Grenzen verstehbar und letztlich erklärbar ist. Geist, Bewusstsein, Wille werden dabei als besondere physikalische Zustände akzeptiert, die das Naturgeschehen nicht transzendieren.
Damit ist aber die Frage nur verschoben, keineswegs gelöst: wenn der nicht-reduktionistische Physikalismus den Menschen nicht zu einem rein neuronalen Prozess macht – ja, was ist dann der Rest? Müssen wir uns am Ende mit dem Mem herumschlagen?