Analytisches Musizieren

Mit dem Ersten Violinkonzert von Sergej Prokofjew taten sich schon die Zeitgenossen 1916/17 schwer. Nicht konzertmäßig, nicht virtuos genug schien es vielen Kritikern damals, und irgendwie scheint das doch dem Werk innezuwohnen – denn auch für einen grossen Auftritt von Hilary Hahn scheint es irgendwie dürftig…

Doch hat Prokofiew in den schwierigen Kriegsjahren ein eindrucksvolles Werk verfasst, das vom Geiger hohe Virtuosität verlangt, man darf sich bloss von der insgesamt leisen Anlage nicht täuschen lassen, die auch eine bei Prokofiew nicht gerade übliche Harfe vorsieht.

Der Komponist liess sich extra für dieses Konzert vom polnischen Violinvirtuosen Pawel Kochańskiberaten – und Hilary Hahn bei der Entwicklung der fein gesponnenen Pizzicato-Lineatur im ersten Satz zuzuhören, ist nachgerade ein Vergnügen. Hier ist durch alle drei Sätze viel Raum für die Entfaltung des Violinklangs.

Mit den beiden Zugaben – Ysaÿe und vor allem Bachs d-moll-Partita – kehrte die Solistin an ihre Anfänge zurück – die Bach-Partiten bildeten 1997 den fulminanten Start ihrer Karriere.

Begleitet hat das Royal Scottish National Orchestra unter dem jungen Stéphane Denève, der wohl auch für die Auswahl des schottischen Lokalkomponisten James MacMillan verantwortlich zeichnet – die eingangs gespielte Confession of Isobel Gowdie ist ein quäkendes Lautgedicht mit sozialkritischem Anliegen, nämlich an die Hexenverfolgung in Schottland zu erinnern. Musikalisch wenig bemerkenswert, dafür laut.

Nach der Pause wurde eine sehr eigenwillige Interpretation der 2. Symphonie von Antonín Dvorák gegeben: die gemeinhin in ihrem klanglichen Überschwang und der vorwiegend dunklen Färbung – samt Brahms-Zitat – eher frisch von der Leber musizierte Symphonie hat jedoch darunter eine komplexe Struktur zu bieten, die der Franzose Denève in aller Klarheit herausarbeitet, auch wenn dabei der populäre Schwung des Tschechen aufs erste Hinhören ein Wenig zu leiden scheint.

Es ist aber durchaus lohnend, diesen Dvorák sozusagen in analytischer Nacktheit zu hören.

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