Nach der allerersten Premiere der Ära Meyer, zu der Marc Minkowski mit Glucks Alceste in der Staatsoper gastierte, war wieder gründlich Stille – vom neuen Wind ist, wie man in Wien sagt, nicht mal ein Lüfterl geblieben. Der Repertoirebetrieb quält sich durchs Jahr, was Neues gibt es nicht. Der Ausblick auf den November 2016 sagt: nicht ein einziger Abend, den ich in der Staatsoper verbringen möchte.
Zur Eröffnung dieser Saison aber hat man wieder Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre nach Wien gebeten, diesmal mit der Armide von Christoph Willibald Gluck. Ein immerhin interessantes Unterfangen, als der Komponist sein französisches drame-héroïque für Paris, aber in Wien geschrieben hat. Nun also eine zutiefst Wiener Pariser Oper in Wien – und natürlich, wie am Hause des M. Meyer üblich, mit einem Schippel Franzosen als Lead Team.
Das merkt man auch gleich: es ist ein gediegen uninspirierter Abend geworden, der öfter am Rande der Langeweile entlang schrammt. Das liegt nun aber nicht allein an der Inszenierung von Ivan Alexandre, die aus einer grundsätzlich guten Basisidee rein gar nichts zu machen versteht, sondern auch am Ritter Gluck selbst, dessen Fassung für den französischen Geschmack nicht mit Einlagen fürs Gehopse spart.
Das trifft eine meiner hauptsächlichen Abneigungen, ja ich würde geradheraus das Ballett als die französische Krankheit der Oper bezeichnen.
Das Bühnenbild von Pierre-André Weitz ähnelt dem bekannten Treppen-Bild des M. C. Escher mit der perspektivischen Täuschung. Was zunächst wie ein Gulag aussieht, ähnelt kurzfristig den scheußlichen Videos muslimischer Extremisten, als Armida ihre Gefangenen misshandelt, soll dann aber den idyllischen Ort der Liebe zwischen den Protagonisten vorstellen. Eine Kurve, die man vermittels einer Wand von Metalltüren zu kratzen versucht – die dann aber zu Requisiten für die diesmal ausschließlich männlichen Hupfdohlen umfunktioniert werden: vermutlich die beste Idee der Choreographie von Jean Renshaw.
Wenn man zurück auf die literarische Vorlage des zeitlebens geistig zerrütteten Torquato Tasso blickt, so agiert hier ausschließlich die Zauberin Armide; im Libretto, das ursprünglich von Philippe Quinault für Jean-Baptiste Lully verfasst hatte, wird die Rolle des Ritters Rinaldo operngerecht aufgewertet, sowie einige Figuren neu hinzu genommen, denn sonst wäre das Ganze ein Einpersonenstück.
Gesanglich ist diese Aufführung ein Ein-Frau-Stück geblieben: im Mittelpunkt steht Gaëlle Arquez als Armide, und ihr gehört der Abend. Nicht nur ist sie nahezu fortwährend im Einsatz, sie meistert die facettenreiche Partie mit Brillanz, leistet Großes als strahlende Kriegerin, zerreißt sich im Kampf zwischen Liebe und Hass – und fügt sich schlussendlich mit wunderbar lyrischen leisen Tönen in den Sieg der Liebe, der gleichzeitig die Niederlage der Kriegerin markiert. Mehr kann man eigentlich nicht wollen – jedenfalls hat das Weitere schon Gluck nicht in seine Partitur geschrieben. Es findet sich in Händels Rinaldo.
Dem Ritter Renaud (Rinaldo) – gesungen von Stanislas de Barbeyrac – hat Gluck zwar eine tragende Rolle aber an Text recht wenig ins Stück gesetzt. Er darf ein bissl verzaubert lieben, um dann zu gegebener Zeit von seinen Recken geweckt aufzuspringen und von dannen zu stürmen. Mehr ist nicht drin.
Spätestens beim Auftritt der personifizierten Allegorie des Hass erwartet man endlich eine Explosion der Emotionen – aber das ist eine Oper im französischen Geschmack, ergo bleibt auch der Hass wohlgesetzt, geschmackssicher und gesittet. Wenn nicht schon vorher, so sehnt man sich spätestens an diesem Punkt der Entwicklung nach etwas Leben, Leidenschaft, Hitze – kurz Barockoper. Ein Problem der Vereinigung zweier musikphilosophischer Linien, das – könnte man sagen – zeitgleich bei Mozart bereits gelöst ist.
So gesehen, war der befürchtete Wehmutstropfen gar nicht so schlimm: ich hatte mich auf Stephanie Houtzeel gefreut, bei Ansicht der mageren Rolle stellt es sich dann aber als nicht so schlimm heraus, ich kann mir meine Enttäuschung lebhaft vorstellen, nachdem ich gesehen habe, was man daraus gemacht hat. So trifft es Margaret Plummer, die undankbare Rolle einer kastrierten Allegorie zu singen.
Wirklich gute Momente hat das Trio Olga Bezsmertna und Hila Fahima – die Gespielinnen Phénice und Sidonie – mit ihrer Herrin Armida. Dagegen sind die beiden Recken, die den Helden zum Schluß denn doch noch für den Ruhm zu reklamieren vermögen, Bror Magnus Tødenens und Mihail Dogotari bloße Schatten.
Alles in allem aber bestimmt das beste, was die Staatsoper heuer noch zu bieten hat.