Dass man den ärmsten Ländern der Welt helfen müsse, ist ein Gemeinplatz. Dass dabei nahezu nichts herauskommt, inzwischen aber auch. Und dass von einer Milliarde betroffener Menschen in diesen ärmsten 50 Ländern der Welt ein weitaus überwiegender Teil auf dem afrikanischen Kontinent lebt – leben muss, könnte man fast sagen -, schürt ein Wenig die Vermutung, dass diese Situation nicht von ungefähr kommt.
Gerne werden wir als Europäer und damit in irgendeiner Form pauschal als Kolonisatoren und Beförderer der Globalisierung dafür verantwortlich gemacht. Koloniale Ausplünderung, willkürliche Grenzziehung, der kalte Krieg – und fertig ist Afrika, wie wir es kennen.
Der Direktor des Centre for the Study of African Economies, Paul Collier, hat es in seinem Buch Die unterste Milliarde: Warum die ärmsten Länder scheitern und was man dagegen tun kann unternommen, eine etwas andere Geschichte dieser Verarmung zu erzählen und damit auch, eine vollkommen andere Perspektive zu eröffnen darauf, was man tun kann.
Die bittere Wahrheit ist: ein gewisses Niveau der Entwicklung hätte jedes dieser Länder erreichen können, ja sehr viele von ihnen hatten es bereits einmal erreicht, sind aber durch Krieg, Bürgerkrieg, putschende Generäle, inkompetente Regierungen, die Ausplünderung durch eigene Eliten und nicht selten auch durch das Auffinden wertvoller Ressourcen und Rohstoffe dahin gekommen, wo wie sich heute befinden.
Diese Phänomene sollte man weniger auf weltanschaulicher Ebene diskutieren – denn die Globalisierung ist nicht Teil des Problems, sondern der Lösung – oder aus der romantischen Perspektive betrachten – denn auch vor der Kolonialisierung war Afrika kein Paradies -, man sollte es vielmehr mit den Methoden moderner Wissenschaft untersuchen.
Paul Collier und seine weltweit verstreuten Mitarbeiter identifizieren mit ebendiesem Methoden Ursachen für die Malaise, in der manche Länder sich befinden – und das Ergebnis gefällt kaum jemand, der sich in der Entwicklungshilfe oder der One World-Bewegung engagiert: diese Länder sitzen in Fallen, in die sie sich selber manövriert haben. Wirtschaftliche Gesetzmässigkeiten tun ein übriges, um verzweifelte Bemühungen fruchtlos verpuffen zu lassen.
Man kann nicht gegen die Gesetze des Wirtschaftens agieren. Und gegen sie besteht auch keine Chance, für diese ärmsten Ländern irgendetwas zu verändern oder verbessern. Aber umgekehrt, um alles zu zerstören, reicht ein einzelner dummer Autokrat.
Grundsätzlich lassen sich vier Typen von Fallen identifizieren, die auf minder entwickelte Länder lauern – und in die sie regelmässig tappen, um daraus nur schwer wieder hervorzukommen:
- Die Konfliktfalle mag vollkommen logisch erscheinen: ethische, religiöse, sonstige Konflikte, aber auch Putsch und Wahlbetrug, führen in Kriege, Bürgerkriege und ähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen bis hin zur völligen Desintegration des Staates (wie in Somalia), und ein Weg heraus ist nahezu unmöglich.
- Die Ressourcenfalle hingegen ist auf den ersten Blick ein Widerspruch: die Existenz reicher Ressourcen und Bodenschätze sorgt für Verarmung – in erster Linie, weil sie zur Missachtung wirtschaftlicher Grundlagen der Staatsführung und zu horrender Korruption führt.
- Die Binnenfalle ist ein auf den ersten Blick primär geografisches Problem: Länder ohne Zugang zum Meer sind auf ihre Nachbarn angewiesen, auf deren Transportkapazitäten, Infrastrukturen und Kooperationswilligkeit; doch auch Botswana hat keinen Zugang zum Meer, steckt aber nicht in einer vergleichbaren Krise.
- Die Regierungsfalle ist eine, die uns nahezu täglich aus der Zeitung entgegenblicke – wenn es überhaupt eines dieser Länder in die Schlagzeilen schafft: schlechte Regierungsführung sorgt insbesondere in kleinen Ländern für raschen Abstieg, aber auch dafür, dass diese Länder sich aus der Falle niemals wieder befreien können. Bei großen Ländern scheint das weniger auszumachen, siehe Russland.
Seit 1980 kann man beobachten, dass die Armut in der Welt insgesamt deutlich zurückgegangen ist; und das ist kein Wunder, sondern ein Ergebnis jenes Phänomens, das seine Gegner mit negativer Konnotation Globalisierung nennen. Man sollte es Aufbreitung der freien Wirtschaft nennen. Indien und China, die wirtschaftlich soweit aufgeholt haben, dass sie inzwischen zu Playern dieser globalen Wirtschaft geworden sind, beweisen dies.
Allerdings sitzen die ärmsten Länder auch in einer Globalisierungsfalle: von selbst wird sie auch der Zug der wirtschaftlichen Prosperität, die sich über fast die ganze restliche Welt erstreckt, nicht mit sich nehmen können. Sie haben den Anschluss verpasst. Man muss also wirklich aktiv um diese unterste Milliarde kämpfen, denn ohne Eingreifen der reichen und aufstrebenden Nationen werden diese Völker nicht nur ohne Prosperität auskommen müssen, sondern kontinuierlich weiter ins Elend sinken – was fast unmöglich scheint.
Jene wenigen Jahrzehnte Entwicklungshilfe nach dem Zeitalter der Kolonisation haben uns gezeigt, dass damit wenig bis nichts bewirkt wird. Das liegt zum einen daran, dass auch Entwicklungshilfe ihren eigenen Gesetzmässigkeiten folgt, und diese gleichfalls vorsehen, dass Gelder effizient eingesetzt werden. Viel von der Hilfe finanziert das Militär, nicht die Entwicklung; das meiste versickert. Es bräuchte also eine externe Verwaltung, die darüber wacht – was aber den Effizienzkriterium niedriger Verwaltungskosten entspricht, die wir uns angewöhnt haben an soziale Projekte und Entwicklungshilfe anzulegen.
Auf der anderen Seite wurde Entwicklungshilfe falsch eingesetz, sowohl was die Ziele betrifft, als auch Dauer, Höhe und Nachhaltigkeit – die wirklichen Summen davon dienten immer schon der PR.
Auch Demokratie ist kein Universalrezept per se: man muss schon exakt spezifizieren, wie die zu laufen hat, wie Kontrolle funktioniert, wie Wahlkämpfe finanziert werden un ähnliches. Das klingt dann aber so, als wollte man den Leuten in diesen Ländern unser System aufoktroyieren. Im Wesentlichen ist es aber das. Die andere Möglichkeit ist perfid: wir lehnen uns zurück und warten, bis sie es selber herausfinden. Das kann ewig dauern – und das wiederum wollen viele Menschen bei uns nicht.
Der völlig unsinnige Krieg der USA im Irak verstellt uns derzeit die Sicht auf das Thema der militärischen Intervention: es gibt Beispiele wie Sierra Leone, wo das funktioniert hat. Aber man muss auseinander halten, dass es beim Irakkrieg niemals um Hilfe ging, die zuerst einer gewaltsamen Intervention bedurfte, um überhaupt möglich zu werden, sondern um einen Privatkrieg von George W. Bush, den er seinen Geschäftsfreunden schuldig war.
Manche Situationen könnten durch rasches militärisches Eingreifen davor bewahrt werden, ins absolute Chaos zu kippen. Solche Dinge zeichnen sich ab – und für gewöhnlich schauen wir dabei nur zu… Das mag ethisch korrekt sein, produziert aber die sattsam bekannten Resultate.
Da man aber umgekehrt auch nicht überall einfach einmarschieren kann, um Demokratie und Wohlstand zu bringen, bleibt nur, es den Menschen in jenen Ländern zu überlassen – und sie mit den Möglichkeiten demokratischer Art zu unterstützen. Aber wie wird man mit demokratischen Möglichkeiten einen Robert Mugabe los? Paul Collier will aus solchen und ähnlichen Gründen externen Druck bis hin zu militärischer Intervention als Mittel der Weltgemeinschaft zur Hilfe in Kriesenfällen möglich wissen.
Viel mehr verspricht Collier sich aber von der Aufstellung und Durchsetzung von Chartas – ganz ähnlich, wie die Europäische Union einen grundlegenden Verhaltenskodex für ihre Mitglieder und vor allem Mitgliedschaftswerber aufstellt und kontrolliert, Eine Charta über die Finanzierung von Wahlkämpfen etwa ermöglicht es der Opposition auch in den ärmsten Ländern, deren Einhaltung einzumahnen. Worauf sollen sie sich derzeit berufen, wenn es keine Charta gibt?
Dies scheint der einzige Weg zu sein, Hilfe in politischen Belangen zu leisten. Denn die Wirksamkeit von Geldern hängt davon ab, dass die politischen Systeme funktionieren – und zwar im Sinne der Bevölkerungen dieser Länder. auch ein Robert Mugabe hätte es schwerer, wenn sich seine Verstösse an etwas messen liessen, das als anerkannte Messlatte diente. So aber kann er gegen den westlichen Imperialismus toben und seine Bodenschätze den Chinesen verkaufen, die keine Fragen stellen. Aber auf diese Weise profitieren auch nur Mugabe und seine Kumpane davon. Denen aber ist die Bevölkerung egal.
Es schaut trist aus für die ärmsten Länder der Welt – und für eine Milliarde Menschen, die in ihnen lebt. Aber deswegen braucht man nicht das Denken zu lassen, wenn es gilt, Wege zu suchen, ihnen doch noch zu helfen.
Paul Collier warnt aber vor allem davor, diese Frage weltanschaulich zu betrachten:
Viele von ihnen glauben nicht, dass für die Mehrheit der sich entwickelnden Welt der globale Kapitalismus funktioniert. Sie hassen den Kapitalismus und wollen nicht, dass er funktioniert. Die Botschaft, dass er für die Milliarde ganz unten nicht funktioniert, genügt nicht; sie wollen glauben, dass er nirgends funktioniert.