Der Herr Karl ist seit Jahrzehnten den Wienern in den Gedächtnisspeicher für Peinlichkeiten eingebrannt. Vielleicht erfreut er sich deswegen so großer Beliebtheit – insbesondere bei Nestbeschmutzern. Dachte man aber, dass eine so typisch 50er-Jahre Sache irgendwann aus der Welt fallen und die Neuen Alten nicht mehr durch ihre Bissig- und Böswilligkeit zwingen werde, in den Zerrspiegel zu schauen, so hat man sich getäuscht.
Eine neue Generation von Theatermachern macht sich über das her, was weiland Carl Merz und Helmut Qualtinger angerichtet haben. Nach Erwin Steinhauer, Heribert Sasse und anderen griff 2010 auch Niklaus Habjan in die Vollen: sein Puppenspiel vom miesen Jedermann (Hans Weigel) steht seit einigen Jahren immer wieder zum 1. Januar auf dem Programm des Burgtheaters. Wenngleich das Burgtheater recht wenig dafür kann, denn Habjan mietet nur das Haus und bespielt es in Eigenregie.
Neu ist dabei zweierlei: es geht nicht mehr nur um das alte Österreich, das – so hoffte man – auch irgendwann aussterben wird müssen… Leider ist die gute alte Zeit im neuen türkis-blauen Gewande zurückgekehrt. Man verstehe das nicht falsch: nicht die Nazis sind zurück, der Vorwurf greift viel zu weit und ist drastisch übertrieben für diese Truppe von Dilettanten, nein: die klassischen Österreicher sind zurück. Das aber reicht, um wenn schon nicht Kopf- so doch Magenschmerzen zu bereiten. Es regiert der schlechte Geschmack.
Diesen aber verkörpert der Herr Karl wie kein andrer je.
Das zweite ist die sinnige Rollenverteilung, mit der Habjan den einstmals monolithischen Herrn Karl in drei Puppenexistenzen spaltet. Ohne den Text zu erweitern – bis auf ein paar aktuelle Anspielungen verkneift er sich das zum Glück – ergänzt Habjan seine Kommentare zur Parallelität der Zeiten im Interagieren der Figuren. Als da wären: der eigentliche Herr Karl als ausrangierter Oberkellner, gepaart mit dem einzigen Gast, der den eigentlich harten Bandagen als Mundstück dient, und einer ominösen Bardame, die manifest daran erinnert, dass man Schlechtigkeit durchaus zu gendern vermag.
Erstaunlich ist, wie viel Dialogisches aus dem Monolog hervorgebracht werden kann, bisweilen sogar mit dem Publikum…
Habjan ist auch vielen Gründen bewundernswert, nicht nur, weil er dem Puppentheater eine zeitgemäße, radikale Form gegeben hat; über dieses Stadium ist der Vielbeschäftigte inzwischen hinaus, wenngleich er mit dem Böhm erst unlängst wieder einen kräftigen neuen Akkord gesetzt hat.
Es gibt sicherlich eine erkleckliche Reihe von Beschäftigungen, die einem am Neujahrstag weitaus weniger Spaß machen würden – Speiben zum Beispiel, wenngleich einem bei ehrlichem Nachdenken angesichts unserer Welt und des Herrn Karl in ihr dasselbe gefährlich hoch im Halse steckt. Wie gut, dass die Luft auf dem Nachhauseweg eine kalte und frische ist.