Sie war sozusagen die Großmeisterin der zelebrierten Witwenschaft, das einstmals hübsche – aber dünkelhafte und im Grunde strohdumme – Mädchen Alma Schindler, die nacheinander Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel ehelichte und sich so gewissermassen zur Witwe des Zwanzigsten Jahrhunderts aufschwang. Zumindest schien sie das selber so empfunden zu haben, obwohl sie sich in ihren Äußerungen wie Aufzeichnungen rabiat antisemitisch gebärdete und ihre Männer, abseits von deren Einkommen, das ihr natürlich höchst willkommen war, gering schätzte: Mahler und Werfel als kulturlose Juden, Gropius als erfolglosen Modernisten.
Der deutsche Historiker und Psychologe Oliver Hilmes zeichnet in seiner gar nicht wohlmeinenden Biografie Witwe im Wahn: Das Leben der Alma Mahler-Werfel das erschütternde reale Bild einer selbststilisierten Heroine der Moderne.
Ihr Antisemitismus datiert nicht erst aus der Dreißiger Jahren, sie verachtete den fast doppelt so alten Wiener Hofoperndirektor, den sie im März 1902 erst 22jährig heiratete, nahezu von Anfang an, und – faszinierende Einsicht aus den Tagebüchern – hielt nichts von seiner Musik, bevorzugte ihre eigenen Lieder. Wer die schon mal gehört hat, kann sich ernsthaften Gelächters kaum enthalten: das sind belanglose Petitessen, an denen sich schon ihr Lehrer Alexander von Zemlinsky bei aller Zuneigung höchst vergeblich abmühte.
Mahler fehlt mir nicht und ich wollte mich in eine Trauer versetzen, was mir absolut misslang. […] Außerdem bin ich mit seiner Musik keineswegs so vollkommen einverstanden. Sie ist mir oft so fremd, manchmal sogar unsympathisch.
schrieb sie 1920 anlässlich des Todestags von Gustav Mahler in ihr Tagebuch, auf dem Weg zur Scheidung von Architekt Gropius.
Zum Glück hat Autor Hilmes wenig Sympathie für diese Frau, die zeitlebens, wiewohl mit Werfel auf der Flucht und im Exil in den USA, große Stücke auf Adolf Hitler hielt – so ist ein boshaft amüsantes Buch herausgekommen, das zwar bisweilen Haarsträubendes berichtet, jedoch hauptsächlich an der längst fälligen Entzauberung einer selbsterwählten Muse arbeitet.
Ihr Beitrag zum Schaffen ihrer Männer beschränkt sich auf Geldausgeben, Hintergehen und Verachten. Sie war gewissermassen die Mutter aller Groupies, hatte neben ihren drei Ehen noch zahllose Verhältnisse, eins davon mit Oskar Kokoschka, und einen weiten Kreis von Verehrern, zu denen Gerhart Hauptmann, Carl Zuckmeyer, aber auch Arnold Schönberg, Alban Berg und andere zählten. Einigen von ihnen hat sie in intriganter Weise übel mitgespielt.
Unter den wenigen, die von Anfang an den kritisch distanzierten Blick zu bewahren wussten, waren Ernst Krenek und Elias Canetti. Von beiden sind böswillige Schilderungen überliefert – Canetti berichtet von einer zerflossenen Alten auf dem Sofa, nachdem er sie das erste Mal besucht hatte. Auch Thomas Mann hinterließ wenig schmeichelhafte Urteile über sie in seinen Aufzeichnungen, wenn er auch zugab, gern bei ihr zu Gast zu sein, weil sie ihm Rebhühner zu essen gebe…
Fern davon, irgendjemand eine Muse zu sein, hat sie Mahler wie Werfel verachtet und gequält und sich später trotzdem nicht entblödet, sich in ihrem Lichte zu sonnen. Von der Musik des einen sagte sie:
Ich kenne wenig, und was ich kenne, gefällt mir nicht.
Und ihrer Tochter Anna gegenüber:
Der Werfel kann doch nicht Deutsch, kein Jude kann doch Deutsch!
Die erklärte Nationalsozialistin und forsche Antisemitin ging mit den flüchtenden Juden zu Fuß über die Pyrennärengrenze – und an diesem Punkt fragt man sich natürlich, warum Walter Benjamin an dieser Hürde scheitern musste und nicht sie. Sie durfte aber 1964 in Ruhe im Bett sterben, noch dazu in den USA – und 53 Jahre nach ihrem ersten Mann Gustav Mahler.