Eine augenzwinkernde Tragödie

Manche betrachten es als ein Opernfest – und in gewisser Weise ist es ja auch eins: ein Reigen ins Ohr gängiger Melodien, sozusagen ein Hit-Popourri der klassischen Sorte, dabei eine anrührende Liebesgeschichte (wenn man auf sowas extra steht) und – in diesem Fall – eine humorvolle Inszenierung im opulenten Bühnenbild ein und desselben Mannes: Franco Zeffirelli’s La Bohéme läuft an der MET schon viele, viele Jahre lang.

Interessanterweise – und das sehr im Gegensatz zur den ebenfalls recht alten Inszenierungen der Wiener Staatsoper etwa der Tosca oder der Traviata – wölkt hier nicht sogleich nach dem Heben des Vorhangs der Staub vergangener Jahrzehnte. Das liegt zum einen daran, dass Zeffirelli von so etwas wie einer Idee beseelt ans Werk gegangen ist. Die mag man goutieren oder nicht, sie führt jedenfalls zu einem runden, das Ganze des Gesamtkunstwerks Oper durchdringenden Gedanken. Zum anderen hat der Mann zweifellos das, was die Amerikaner so leichtfertig a great passion for opera nennen – und zwar wirklich.

Im Falle der armen, aber lebenslustigen Künstler in der Pariser Mansarde schafft Zeffirelli einen Guckkasten für eine Art augenzwinkernder Jahrmarktsaufführung. Die durchwegs dicken Männer in der Mansarde mimen wenig glaubwürdig von Hunger und Kälte geplagte Poeten, Maler, Komponisten und Philosophen – je einer einen: Ramón Vargas als erfolgloser Dichter Rodolfo und Quinn Kelsley als Musiker Schaunard fallen eindeutig in die Kategporie dieser Charakterüberzeichnung. Ludovic Tézier als Maler Marcello und Oren Gradus als abgerissener Philosoph sind da schon glaubwürdiger.

Doch geht es in der großen Oper niemals um solche Äußerlichkeiten, wiewohl gerade der Opernliebhaber Zeffirelli sie sich scheinbar zunutze macht: die vier Herren sind Karikaturen, keine böswilligen zwar; doch Kälte und Hunger, selbst das Versetzen des letzten Mantels, bemeistern sie wie mit einem Feixen. Im Übermute versteigen sie sich sogar zu einer Quadrille im Dachboden und gar einer schwungvollen Duellsimulation über die Dächer.

Zum Glück ist die Besetzung der Mimi mit Angela Gheorghiu fern des pummeligen Typs gelungen. Die Rolle der schwindsüchtigen, in Laufe des Stücks immer mehr verfallenden Blumenstickerin ist zwar vielfach von dicken Damen – (c) Heimito von Doderer – gegeben worden, aber das wäre doch, angesichts ihres Todes als tragischem Höhe- und Endpunkt der Oper, zu viel an Karikatur. Die rumänische Diva meistert nicht nur die innigen Partien, sie stellt auch genau diese Mimi, die am Ende zu sterben hat, dar. Und an den Tönen fehlt keinesfalls, was an Gewicht nicht da ist!

Im Gegenteil die lebenslustige, männerverführende Kokotte Musetta – gesungen und wahrhaftig und glaubwürdig gespielt von der in New York lebenden Baskin Ainhoa Arteta: sie legt einen kapriziösen Auftritt hin, mit viel Bosheit und viel Koketterie, sodass ihr im Schlussakt die Wandlung ins Barmherzige durchaus nur wie schwerfallend gelingt.

Der junge Italiener Nicola Luisotti leitet das Hausorchester mit Schwung, er bringt das Spritzige in Puccinis Musik – vor allem im zweiten Akt – so richtig in Bewegung, liefert aber auch in den sparsamen Orchesterpartien der düsteren und rühigen Momente die rechte Dosierung.

Wirklich hervorzuheben ist der in seiner unscheinbaren Rolle jedoch herausragende Oren Gradus. Wie er sich von seinem wärmenden Mantel verabschiedet, um ihn zu versetzen – die wunderschöne Bassarie Vecchia zimarra -, könnte einen fast zu Tränen rühren – hätte ihm Zeffirelli nicht ein solch lückriges Stück Kleidung an die Hand gegeben, dass es fast wie vergebene Liebesmüh‘ scheinen will.

Eben weil Zeffirelli keinen zeitbezogenen, sondern einen elementaren Kommentar abgibt, vermag seine Arbeit auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung zu bestehen. Jetzt kann man sagen, ein Otto Schenk, den manche ja zu mögen scheinen, enthalte sich doch auch jeglichen Zeitkommentars. Ja. Aber was bei Schenk vollkommen fehlt, ist die Idee. Nicht das leiseste Quentchen davon, einerlei ob Verdi oder Wagner. Leider ist es auch die MET, bei der man sich in der kommenden Saison aufs neue davon überzeugen kann, was für ein Mist dabei herauskommt.

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