Gar nicht staubig

Um des authentischen Eindrucks willen der Zeit, in die er die Handlung seiner Oper Pique Dame verlegte, baute Tschaikowski Material aus der Epoche Katharinas der Großen ein: die harmlosen volkstümlichen Lieder der Mädchen im 2. Bild, die Schäferinnen-Szene als eine Art von Oper-in-der-Oper beim anschließenden Maskenball, die Polonaise bei Ankunft der Zarin, oder das dürre Chanson der alten Gräfin – dies Material entnahm er Werken der Zeit, deren Komponisten heute vollständig unbekannt sind: Bortnjanskij, Kozlowski oder Grétry…

Alles in allem hätte Tschaikowski getrost sein Werk um bis zu vierzig Minuten kürzer ausfallen lassen können. Es hätte dem Erfolg gewiss nicht geschadet. So aber hat es Längen und langweilt mit pseudo-authentischen Einlagen, die der Handlung nichts zutun und auch sonst wenig zu bieten haben. Aber abgesehen von diesen Schwachstellen im Werk selber:
Die Staatsoper beweist mit dieser Pique Dame, dass sie auch jenseits der staubigen Museumsinszenierungen noch kräftige Lebenszeichen zu geben vermag. Und mit Meister Seiji Ozawa am Pult und Neil Shicoff als Hermann stand ein Spitzenensemble auf der Bühne. Vor allem mit Martina Sarafin, der man gerade in Kraft und Ausdruck die Fähigkeit zur Sieglinde anmerkt, tut sich ein Lichtblick auf: entsprechend – aber nicht wirklich fehl am Platz in der kraftstrotzenden Musik Tschaikowskis – fällt ihre Lisa aus.

Präsent, humorvoll und präzise legte Albert Dohmen den für die Geschichte selber selten wesentlichen Tomski an. Fast völlig farblos präsentierte sich dagegen Anja Silja als Gräfin – was aber auch der wenig zentralen Rolle von Seiten des Komponisten geschuldet sein mag: ihr mageres Chanson im vorletzten Bild gehört zu den Passagen, die er getrost weglassen hätte können.

In ihrer Inszenierung ist Vera Nemirova weit hinter dem Schrecken zurück geblieben, den ihre bisherigen Arbeiten den Traditionalisten unter den Operngehern vorab anzukündigen schienen; sämtliche Befürchtungen waren ungerechtfertigt – aber auch in beiden Richtungen: die Freunde verstaubten Theaters können mit einer insgesamt statischen, durch Bewegung im Chor und nicht immer nachvollziehbar eingesetzer „Masse“ durchaus zufrieden sein. Anders als etwa in Otto Schenk-Inszenierungen vermögen die Figuren aber glaubhaft lebendige Bühnenmenschen darzustellen.

Das Bühnenbild aber ist eine seltsame Kreation aus einer aushäusigen Freitreppe mitten im Raum und einem quasi drüber gestülpten Innenraum mit langer Fensterfront… drinnen oder draußen ist dabei meist nur aus der Handlung zu erschließen, was aber nicht wirklich stört. Auffallender sind da schon die Stilbrüche im Kostüm (Marie-Luise Strandt), die als gekünstelt bunte Flecken aus einem sonst recht runden, erdfarbenen Gesamteindruck herausstechen. Vielleicht sind es ja auch absichtliche Patzer.

Eigenwillig blieb jedoch der Einsatz des Balletts: hier mehr zum Aufputz einer Männergesellschaft und zur Darstellung langer Damenbeine denn als irgendwie organisch in die Oper passendes Element. Nun ja, Männeraugen freut’s. Und für mich persönlich brauchen sie ohnehin nicht herum zu hopsen, egal wie viel sie anhaben oder wie wenig.

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