Willkommen in der Gegenwart, Staatsoper!

Es ist nach den hauseigenen Statistiken der Staatsoper nunmehr 50 Jahre her, seit im verstaubten Haus am Ring ein Werk von Händel erklang, und immerhin noch satte 41 Jahre, dass es die letzte Barockoper gab. Damit hat der vorhergegangene Direktor des Hauses das Kunststück zuwege gebracht, einen der größten Trends der Opernpraxis der letzten zwanzig Jahre um ebendiese zwanzig Jahre zu verschlafen.

Mithin kann man des neuen Direktors Dominique Mayer Entscheidung, gleich als zweite Premiere seiner ersten Saison ein barockes Juwel auf den Spielplan zu setzen, nur folgerichtig nennen. Und der sich prompt einstellende Erfolg ist wohl eher das Equivalent zu einem Penalty denn eine besondere spielplangestalterische Leistung – solche Schüsse müssen einfach sitzen, alles andere wäre Unfähigkeit. Das Theater an der Wien – aber auch das Konzerthaus – haben sich die Pflege des barocken Repertoires schon längst zu eigen gemacht und die Vorarbeit beim Wiener Publikum geleistet, in deren hoher Kenntnis und Akzeptanz die Staatsoper nun badet, als hätt‘ sie’s erfunden.

Vielleicht liegt die lange Abstinenz auch daran, dass das Staatsopernorchester für Barockmusik nicht taugt – und das ist beileibe kein Vorwurf. Das Musizieren von Alter Musik und Barock hat sich mit der Originalklangbewegung weit von der Praxis der großen Orchester und ihrem Repertoire von Klassik bis Moderne entfernt. Und wenn daran denkt, was ein Karajan – zu seiner Zeit noch durchaus ohne schlechtes Gewissen – den wenigen Werken des Barock angetan hat, derer er sich jemals annahm, dann versteht man aber auch, dass das gar nicht gehen kann.

Folglich hat sich Dominique Meyer bemüht, den Barockspezialisten Marc Minkowski und das gefeierte französische Ensemble Les Musiciens du Louvre – Grenoble einzuladen. Und das ist keine Minute zu bereuen! Georg Friedrich Händel hat mit der Alcina wahrhaft große Oper geschrieben – und die Franzosen liefern eine differenzierte, bis in die Feinheiten klare und dabei wundervoll kompakte Interpretation ab.

Geistreich wollte sich zunächst auch die Regie des britischen Altmeisters Adrian Noble anlassen: er versetzte die Oper um eine Ebene als Stück in ein weiteres Stück – als Rahmenhandlung ersann er eine Aufführung von Händels Werk in Adelskreisen der Entstehungszeit, hin bis zur detaillierten Angabe der Namen der agierenden Personen.

Was hätte eine nette Spielerei mit doppelten Böden und ein reicher Fundus für die Beleuchtung epochenverhafteter Interpretationsansätze werden können, ist ihm dann recht rasch zur Kulisse erstarrt. Wären da nicht die Kostüme und ein paar belämmert herumstehende Dienerfiguren, die vollkommen unmotiviert andauernd Sessel und Stühle hin und her tragen und den agierenden Sängern und vor allem Sängerinnen untern Hintern schieben, man wähnte sich in einer konzertanten Aufführung.

Entsprechend wenig Sinn machen daher auch Bühne und Ausstattung – gestaltet von Anthony Ward: sie sind der präzise gearbeitete Hintergrund zur Adelsszenerie, doch tragen sie am Ende auch nur zur Langeweile bei.

Von ganz anderem Kaliber da die Sängerinnen – denn es ist ein Stück mit etlichen Frauen und Hosenrollen und kaum Männern. Herausragend die schon in München in der Rolle bejubelte Anja Harteros. Sie schafft es, die egoistische Zauberin sowohl in ihrem herrschaftlichen Gebahren, in ihren kontrolliert spielerischen Amouren als auch schlussendlich in der Verzweiflung aus doch noch eingetretener Liebe darzustellen. Und zu singen!

Händel hat eine Frau auf die Bühne gestellt, die machtvoll und selbstbewusst auftritt, Männer gebraucht und verbraucht und sich dennoch irgendwann in die Tiefen des Sentiments begeben muss. Neben den glanzvollen Partien der ersten Phase stehen daher die vollkommene Perlen inniger Gemütsbewegtheit und schierer Verzweiflung – und Anja Harteros vermag alle diese Register zu ziehen.

Als ihr Partner Ruggiero wirkt daneben Kammersängerin Vesselina Kasarova wie aus einer andern Klasse. Sie hat an diesem Abend auch stellenweise hörbar Schwierigkeiten. Dass sie es könnte, weiss man von der CD-Produktion der Münchner Aufführung.

Großartig auch die Morgana der argentinischen Sopranistin Veronica Cangemi. Ihr Nachteil ist es ganz einfach, dass der Komponist der titelgebenden Heroine auch die besseren Stücke zugedacht hat.

Bemerkenswert die Leistung des Sängerknaben Shintaro Nakajima, der die Partie des jugendlichen Oberto – geschrieben urprünglich für Kindersopran – ganz ausserordentlich meisterte. Was aber Regie und Ausstattung bei dem Gedanken geritten hat, ihn als einzigen im Nachtgewande mit Schlafmütze als quasi wandelndes Darmolmännchen auf die Bühne zu stellen, gehört zu den nicht klärbaren Irritationen dieser Inszenierung.

Ferner sangen: Kristina Hammarström die Bradamante – noch in guter Erinnerung aus dem Ezio im Theater an der Wien -, Benjamin Bruns als Obronte sowie Adam Plachetka als Melisso.

Eine glanzvolle Aufführung war’s in der Tat, der endlose Jubel berechtigt – aber auch die unverholene Kritik in der Blättern an der recht flachen, um nicht zu sagen baden gegangenen Inszenierung.

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