Das Dumme an philosophischen Aufsatzsammlungen, selbst wenn sie von einem einzigen Autor stammen und um eine Auswahl an Themen kreisen, ist es, dass in ihnen fast jeder einzelne Gedanke zwangsläufig zu kurz kommen muss.
Der Vertreter der analytischen Philosophie in Deutschland, Ernst Tugendhat, von dem zuletzt Egozentrizität und Mystik erschienen ist, hat rund um die Themen Religion, Mystik und Willensfreiheit eine Sammlung von Reden und Aufsätzen unter dem Titel Anthropologie statt Metaphysik zusammengestellt.
Man kann einige davon getrost für sich allein lesen:
Nietzsche und die philosophische Anthropologie: Das Problem der immanenten Transzendenz etwa geht er zweimal knapp aber scharf auf Heidegger ein:
Heideggers Anspruch, in einer Destruktion der Tradition eine tiefere Dimension erreicht zu haben, bescherte ihm seinen außerordentlichen Erfolg, aber sie löste in Wirklichkeit nichts, und am Ende befand sich Heidegger selbst in einem Zustand, der an einen indischen Mystiker erinnert, der nur noch die Silbe „Om, om“ wiederholt.
Das ist harsche Kritik von einem, den einstmals Sein und Zeit zutiefst beeindruckte.
Heidegger interpretierte den Begriff der Wahrheit auf eine Weise, dass er seine Tiefendimension verlieren musste, den Gegensatz zum Schein, und der Begriff des Guten kommt bei ihm nicht einmal vor.
Die Retraktionen zur intellektuellen Redlichkeit hinwiederum fokussieren auf ein Dimension des Denkens und der Meinungsäußerung, die sehr beherzigenswert erscheint:
Die intellektuelle Redlichkeit besteht als nicht in der Disposition, nach Wahrheit zu fragen, sondern in der Disposition, für die Möglichkeit nach Unwahrheit der eigenen Meinung offen zu sein. Das eine ist nicht die Kehrseite des anderen. Es handelt sich um zwei Dispositionen zu verschiedenartigen Dynamiken.
… dass man bei Fällen, in denen die Evidenz überwältigend ist, eigentlich nicht von intellektueller Redlichkeit sprechen kann, weil die Unwahrheit der Meinung offenkundig ist. So ist es in erster Linie bei Wahrnehmungsätzen. Ich meine nun, dass es sich bei der Existenz Gottes um einen ähnlichen Fall überwältigender Evidenz handelt. Es kommen hier zwei Gründe zusammen, die diesen glauben ausschließen: erstens, dass man sich Gott nicht mehr im Himmel (oder auf dem Olymp usw.) denken kann wie in früheren Zeiten, der Existenzbegriff seinen Sinn verliert. Dass ein konrektes (reales) Wesen existiert – und ein oder der Gott, zu dem man beten kann, ist ein konkretes (reales) Einzelwesen (man changiere nicht von einer Bedeutung in eine andere!) –, heißt, dass es in Raum und Zeit existiert […]. Zweitens und entscheidend: wenn man wünscht dass p und es keine unabhängigen Evidenzen für p gibt, dann wäre der Wunsch der einzige Grund für die Meinung, dass p, und das ist ein eindeutiger Gegengrund – nicht für p, aber für die Meinung (den Glauben), dass p. Diese zwei Gegengründe machen in meinen Augen die Evidenzlage beim Glauben an die Existenz Gottes aus. Deswegen hat derjenige, der sich diese Evidenzlage klar macht, das Bewusstsein, sich unmittelbar selbst zu „belügen“, wenn er versucht, gleichwohl an die Existenz Gottes zu glauben.
Er rekurriert auf diese intellektuelle Redlichkeit – wieder im Zusammenhang mit Nietzsches Tod Gottes – in Über Religion:
Es gibt nicht nur keinen Grund an ein solches Wesen zu glauben, sondern, gerade weil wir es offenbar so dringend brauchen, gibt es einen so evidenten Gegengrund, dass an Gott zu glauben dem gleich käme, was, wenn es sich um etwas Empirisches handelte, ein Halluzinieren wäre.
Damit ist immerhin das gesagt.
Ein Gedanke zu “Intellektuelle Redlichkeit”