Auf der banalen Ebene kann das Stück nicht arg viel mehr. Da ist eine junge Herrscherstochter, die dem König des Nachbarlands zur Frau versprochen ist. Da ist eben dieser König, der verbissen und unermüdlich Krieg um Krieg gegen seinen Leib- und Magenfein Rom führt. Und da sind zwei Söhne, die während der Abwesenheit ihres streitbaren Vaters nichts Besseres zu tun haben, als sich um die Braut des Alten zu balgen. Die wiederum hat sowieso wenig Freude mit dem Arrangement, das die Könige für sie getroffen haben. Das verspricht zumindest die nötige Anzahl an Verwicklungen.
Was noch nachgerade barock klingt, wurde dafür schon recht spät in Musik gesetzt vom grade mal vierzehnjährigen Wunderknaben Wolfgang Amadé Mozart, zu Mailand 1770 in der Karnevalssaison geschrieben – geradezu herausgestampft – und daselbst mit großem Erfolg uraufgeführt.
Dieser Mitridate, Re di Ponto ist dennoch nicht in die Kategorie der Jugendwerke einzureihen – die spielt sich bei Mozart in bei weitem jüngeren Jahren ab. Diesem Komponisten muss man keineswegs das wenig reife Alter zugute halten: das Werk weist zwar viele Anspielungen und sogar eine Kopie einer ganzen Arie aus Gasparinis kurz zuvor erschienenem Mitridate auf, doch das liegt im Trend der Zeit und des Theaters jener Tage. Die Sänger waren Primadonnen im schlimmsten Sinne des Wortes und zwangen den Komponisten ihre Vorstellungen von Hochglanz auf. Darunter hatte auch und gerade der junge Mozart zu leiden.
Herausgekommen ist aber ein Werk, das in der Opernliteratur an der feinen Grenzen von der Opera seria zur durchkomponierten Oper steht – aus der Feder eines, der späterhin wahrhaft großartige echte Opern geschrieben hat.
Bruce Ford vermag in dieser Premiere im Theater an der Wien den Mitridate perfekt zu verkörpern, ein Held mit Auftreten, dem man – mangels Leibesfülle – den Krieger noch durchaus geneigt ist abzunehmen. Seine beiden Söhne Sifare und Farnace sind mit der griechischen Sopranistin Myrtò Papatanasiu und dem indischen Counter Bejun Mehta hochkarätig besetzt. Nicht zu reden von Patricia Petibon als heftig umworbene Aspasia.
Mozart hat ihnen allen so vielfältig verschiedene Arien geschrieben, Bravour, Kantabilität, Verzweiflung und Melancholie, dass ein jeder im Ensemble rundum gefordert ist. Lediglich in der umfassenden Ausstattung aller Protagonisten mit ausreichend Gesangsstücken ist eine – kleine – Schwäche zu sehen: der dritte Akt zieht sich merklich, weil jeder nochmal drankommen muss. Und da scheint auch die Musik Mozarts stärker von den Einflüsterungen seiner Sänger verzerrt als in den beiden ersten Abschnitten.
Die Inszenierung von Robert Carsen versucht sich zum Teil in Dynamik und so etwas wie Bewegungstheater, stößt aber immer wieder an die überflüssigerweise vollgeräumte Bühne von Radu Boruzescu. Das gesamte Setting, symbolisiert in den wenig inspirierten Kostümen von Miruna, der Frau von Radu Boruzescu, scheint jeweils immer den naheliegendsten Strohhalm zu ergreifen, ohne weiter nachzudenken.
Der Liverpooler Harry Bicket verfügt über ein langes Register an barocken Erfahrungen, scheint sich aber im Kampf gegen die Wiener Symphoniker nicht gegen den bei uns heimischen, leicht verschmierten Musizierstil nicht recht durchsetzen zu können. Beim frühen Mozart, der noch durchaus seine Quellen im barocken Musizieren sowie ein feines Gehör für die Varianten und klanglichen Expositionsmöglichkeiten hat, die sich ihm im Material seiner Zeit bieten, tut das aber gar nicht gut. Darüber ärgert sich nicht bloß Nikolaus Harnoncourt.
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