Neue Oper am anus Viennensis

Das Ärgerliche gleich vorneweg: Wahrscheinlich liegt es am Budget und daran, dass es am anus Viennensis – tief im zehnten Hieb, weit von jeder vernünftigen Verkehrsanbindung – noch Orte gibt, die billig hergehen. Dennoch ist es eine Zumutung, eine Oper erstens dorthin, zweitens mitten auf eine Baustelle und drittens in eine akustisch mehr als ungenügende Halle zu programmieren, die desolate Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik – eine Location, so ungenießbar wie das Brot von denen. Meine Herrschaften: dort fahr‘ ich bestimmt nicht mehr wieder hin, egal was sie spielen! Dem schütteren Besuch nach zu schließen dürfte ich mit dieser Ansicht nicht allein sein – am Stück kann’s jedenfalls nicht liegen…

Dabei ist der selten gespielte Baal von Friedrich Cerha eine Perle im Repertoire der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts: ein klarer Plot, eine stringente Geschichte, ja sogar sinnvoller Text – eindeutig eine Adaption vom Theater – Bertolt Brecht schuf das Stück in jungen Jahren – und eine feinfühlig mit der Zerrissenheit des Charakters umgehende Komposition, die nicht nur den Ernst sondern auch Ironie und Spott der Textvorlage einbezieht.

Hätte man das den Bedürfnissen Cerhas angepasst stark vergrößerte amadeus ensemble wien, das Walter Kobéra erneut höchst kompetent durch die Partitur leitete, nur besser gehört, könnte man ja geradezu von einem Genuss sprechen. Leider sitzt man entweder zu nah dran, sodass einzelne Instrumentegruppen das Gehör dominieren, oder die paar Sitze zu weit weg, wo sich bereits der störende Einfluss der Halle bemerkbar macht.

Für die Sänger muss es eine Anstrengung sein, unter diesen Umständen die geforderte stimmliche Präsenz zu bringen – dem Titelhelden, bravourös gesungen vom beständig in Wien tätigen jungen Franzosen Sébastien Soulès, gelingt das unter Aufbietung schier übermenschlicher Kräfte; damit ist auch gut illustriert, wie Brechts Baal sich im Übermut verstrickt und rebelliert und schließlich zu Grunde geht.

Seine Freunde Ekart – erlesen Michael Wagner – und Johannes – leicht verhalten Gernot Heinrich – taumeln mit ihm durch die Nacht; die Frauen hingegen – alle drei bestens disponiert: Manuela Leonhartsberger, Belinda Loukota und Katharina Tschakert – reisst der Unhold in den Abgrund.

Die Inszenierung von Leo Krischke ist sparsam, wohl eher aus budgetären Gründen, denn besonders konzeptbelastet scheint sie nicht. Gilles Gubelmann hat aber eine stimmige Ausstattung in die desolate Halle gestellt, das Lichtdesign von Norbert Chmel geht demgegenüber eher unter.

So ist es wirklich schade um die einmalige Chance, dieses geniale Werk zweier Könner ihrer Metiers – Cerha wie Brecht sind nicht nur phantasievolle Erfinder sondern gediegende Handarbeiter des Theaters – in szenischer Umsetzung zu sehen. So wie Anker das Genussmittel Brot zum g’staubten Wecken degrediert, verhunzt leider diese Halle den Operngenuss. Auch wenn Bezirkskulturförderung und die Betreibergesellschaft zuschießen, wird die Bilanz nicht positiver – das nennt man dann beim Sparen das Budget verheizen.

Kennte ich nicht die Einspielung unter Christoph von Dohnány mit Theo Adam – erschienen in der 12 CDs umfassenden Cerha-Edition des ORF -, hätte ich wohl kaum einen guten Eindruck von der Oper kriegen können.

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