Seltsame Parallelen

Noch im Jänner dürfen wir Österreicher darüber abstimmen, ob wir lieber ein Heer mit allgemeiner (männlicher) Wehrpflicht haben wollen oder ein Berufsheer. Interessanterweise geht die Diskussion darüber aber am eigentlichen Thema, dem Heer als Einrichtung der Landesverteidigung, gänzlich vorbei. Hierzulande wird über die Wehrpflicht für junge Männer entschieden, weil man just jenen Teil der Stellungspflichtigen, die den Dienst mit der Waffe verweigern, unverzichtbar zu brauchen glaubt oder eben nicht – von den anderen, die den militärischen Dienst wählen, ist hingegen gar nicht die Rede.

Im Grunde ist das nur logisch: das Militär erfüllt bei uns seit Jahrzehnten keine nachvollziehbare Funktion mehr. Es macht sich im Leben der jungen Männer als gigantische Zeitverschwendung bemerkbar, hinterlässt jedes Jahr schwer verletzte und ab und zu sogar tote Grundwehrdiener – in den letzten sieben Jahren gab es im Bundesland Salzburg allein einen Toten im Dienst und insgesamt acht Tote im Kasernengelände: das alles in Friedenszeiten. Die Verkehrsunfälle auf dem Weg vom und zum Dienst darf man da gar nicht erst in Rechnung stellen.

Das Bundesheer ist unbestreitbar Killer Nummer eins unter Österreichs Jugend – und zwar besonders perfid: die Leute können sich’s nämlich nicht aussuchen. Wer beim Drachenfliegen in den Tot stürzt, hat sich hinauf in den Himmel wohl auf eigene Initiative begeben. In die Kaserne fahren die Jungs aber in der Regel nicht freiwillig. Ich bin durchaus auch der Ansicht, dass unser Militär eine ausgeprägte Mitverantwortung am exorbitanten Alkoholkonsum der Grundwehrdiener trägt: man kann die Sinnlosigkeit des Präsenzdienstes in Krügel messen.

Nach der Lektüre der politischen Biografie des letzten deutschen Kaisers hatte ich Lust, die österreichisch-ungarische Seite des Fiaskos nachzulesen, und habe dazu das Standardwerk herangezogen: Manfried Rauchensteiner, bei dem ich damals auch die zugehörigen Vorlesungen gehört habe, hat vor vielen Jahren seine Gesamtdarstellung Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg veröffentlicht:

Manfried Rauchensteiner: Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Unganr und der erste Weltkrieg

Die Parallelen zuerst – nämlich die von der alten Armee Österreich-Ungarns, der in die Jahre gekommenen Monarchie der Habsburger, zum Bundesheer der Republik Österreich: beide Armeen gebärden sich als Instrumente der Sicherheit, leiden unter chronischer Unterfinanzierung und sind dabei insgesamt untauglich für ihren eigentlichen Zweck. Das Militär des alten Kaisers zog gegen das vergleichsweise winzige Serbien in einen Krieg, den es aufgrund eigener Unfähigkeit nicht entscheiden konnte, bis die Unterstützung deutscher Armeen für den nötigen Druck sorgte.

Teile des Staatsgebiets gingen im Osten beinah sofort nach Eröffnung der Feindseligkeiten gegen Russland verloren und konnten wiederum erst mit deutscher Hilfe zurück gewonnen werden. Gegen die 1915 in den Krieg eingetretenen Italiener schafften die Truppen seiner Majestät immerhin ein Halten der Front am Isonzo, aber das dürfte an der noch schlimmeren Selbstüberschätzung der Italiener gelegen haben.

Was unser heutiges Bundesheer betrifft, so sind drei Dinge ziemlich fix: niemand, dem man Fachkenntnis zutrauen kann, hält unsere Verteidigungsbemühungen für ernsthaft. Also wäre erstens mit der Abschreckung der bewaffneten Neutralität kein Blumentopf zu gewinnen, sollte es mal irgendwo ernst werden. Wir haben bei der letzten sogenannten militärischen Krise, als Panzer der jugoslawischen Streitkräfte bis an die slowenisch-österreichische Grenze vordrangen, die Größe besessen, Grundwehrdiener an die Fronst zu verlegen, die grade mal zwei Wochen eingerückt waren, also noch nicht einmal nach heereseigenem Ausbildungsplan auch nur annähernd einsetzbar waren.

Zum zweiten zeigt die endlose Kette von Unfällen, die sich bei Übungen innerhalb und außerhalb von Heereseinrichtungen ereignet, dass die Gemeingefährdung durch jedweden Einsatz dieser Truppe höher zu veranschlagen wäre als der Nutzen. Da reden wir noch gar nicht davon, dass sie es bis zu etwaigen Kämpfen schaffen könnten.

Drittens und wesentlich ist rundum nicht abzusehen, wozu wir eigentlich inmitten der Europäischen Union ein Militär betreiben sollen. Selbst wenn das vertraglich oder staatsvertraglich verankert sein sollte, kann man das alles ändern. Unser Beitrag zur europäischen Verteidigung muss nicht zwangsläufig klassisch militärisch sein, noch dazu, wenn wir uns sowieso von der NATO fern halten.

Eigentlich sollte also die Frage nicht nach Wehrpflicht oder Berufsheer gestellt werden, sondern gleich nach der Abschaffung des ganzen Vereins. Es scheint sich aber keine Mehrheit für diesen längst überfälligen Schritt zu finden, gerade mal 8% der Österreicher beiderlei Geschlechts befürworten das. Was zu der nächsten Problematik führt: da stimmen auch die Frauen mit ab, für die es bei der Chose um gar nichts geht. Auch stimmen die Alten – zu denen ich mich nun auch zählen darf, in jedem Fall wegen längst verjährter Wehrpflicht – mit ab, die es genauso wenig betrifft.

Ich denke, eine Umwandlung des Milizheeres in ein Berufsheer ist ein guter Schritt auf dem Weg zur gänzlichen Abschaffung. Ein Berufsheer kann man beliebig redimensionieren, da müssen nicht ganze Jahrgänge durch. Aber vermutlich wird die absurde Diskussion, dass uns dann ja die Wehrdienstverweigerer fehlen, das Rennen machen. Tu felix Austria…

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