Wer das Serapionstheater kennt, wird seine Erwartungen auf die ihm eigene Mischung aus nonverbalem Theater und Tanz einzustellen wissen – sollte man meinen.
Dass man mit Philipp Harnoncourt einen jungen Mann aus großer Familie sowie mit Lorenz Duftschmid einen ausgewiesenen Experten barocken Musizierens zur Zusammenarbeit gewinnen konnte, ließ gleichfalls auf ein aussergewöhnliches Ergeignis schliessen: so hat man denn gemeinsam mit dem Ensemble Armonico Tributo Austria Duftschmids und den J.J.Fux-Madrigalisten ein 237 Jahre lang verschütt‘ gegangenes Kleinod des französischen Barock – uraufgeführt 1706 am Hofe Ludwigs des XIV. – ans Licht der Gegenwart gehoben.
Marin Marais‚ Oper Alcione ist inhaltlich das verworrene Spiel mehrerer verwobener Geschichten, der Ebenen von Traum und Realität, von Göttern und Sterblichen, wie es für die Zeit des Sonnenkönigs stilbildend war; man kannt sich in der Antike nicht wirklich aus, man liebt dabei jedoch Götter, die nicht Gott sind, auch im bigotten Frankreich, und mixt daraus einen quietsch-bunten Cocktail, solange das Ganze nur eine fabula, eine Moral hat.
Die Musik war immer recht beliebt, einzig szenische Aufführungen gab es in all der Zeit nie; dabei bietet das Werk genauso wenige und viele Ansatzpunkte für die szenische Umsetzung und Wiederbelebung, wie sie andere Stücke aus jener Zeit bieten. Aus einer sauberen Komposition wie dieser, die viel herrliche Musik bietet, ist allemal etwas zu machen.
Und so ist auch die Musik des Lully- und Couperin-Zeitgenossen Marais fein gesponnen, vom Armonico Tributo Austria mit kleinem aber feinem Ensemble umgesetzt, musikalisch wie optisch eine Hinwendung auf den Originalzustand. Bei all dem spielen die überwiegend jungen Musiker mit sichtlicher Freude am Tun, mit Einsatz – und Präzision
Gesanglich ist die Aufführung weniger gelungen, wiewohl gleichfalls bemüht. Störend stechen vor allem die Mitglieder des Serapionsensembles selbst heraus, und man muss sagen, dass es wohl keine gute Idee war, ihre Sangeskünste coram publico zu testen. Die J.J.Fux-Madrigalisten geben demgegenüber sanglich eine gute Visitenkarte ab, wie sie immer wieder von engagierten Amateur-Ensembles geleistet wird.
Von den Hauptdarstellern überragt Bass Steffen Rössler als Péléé seine Mitspieler bei weitem; er scheint über weiter Strecken der einzige zu sein, der sowohl die Intonation präzise hin bekommt als auch den Text sauber heraus. Yasushi Hirano – in insoferne tragender Rolle, als seine Figuren Pan und Phorbas die Handlung zusammenhalten – ist dagegen sichtlich und hörbar um korrekte Artikulation bemüht, allein, es kommt nicht so heraus.
Johannes Weiss singt den Ceix bemüht und streckenweise recht gut; Svetlana Smolentseva als Titelheldin Alcione legt viel Gefühl in die Rolle, tanzt dabei aber beständig auf dem Grat des Scheiterns herum.
Die Ensembliten des Serapionstheaters bereichern die Szene mit allerhand gelungenen Ideen und viel Bewegung auf der Bühne, die sich – etwa im Gegensatz zum fortwährenden Auf- und Abmarsch viel zu vieler Statisten, Chormitglieder und Tänzer, wie ihn die Volksoper in ihrer Turandot veranstaltet – beinahe barock in ihrer theatralischen Gestik ausnehmen. Die Improvisationen mit geringsten Mitteln sind ja seit je ein liebenswerter Zug des Seraptionstheaters unter Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits.
Nimmt man die Veranstaltung als ambitionierte semi-professionelle Darbeitung, dann muss man damit zufrieden sein. In den Gesangspartien kann man in der einzigen mir bekannten Einspielung unter Jordi Savall und dem Concert des Nations bei weitem nicht mithalten. Trotzdem ein hübscher Theaterabend, bei dem so manches mit etwas mehr Budget auch weniger hart an der Grenze der Peinlichkeit ausfallen hätte können.
Aber das Los der freien Gruppen ist es nun mal, dass ihnen die verstaubte Staatsoper das Geld wegfrisst, ohne dafür dem Zuschauer adäquates zu bieten. Ich habe mich dort schon mehr geärgert, denn dort darf man mit Fug und Recht Spitzenleistungen erwarten. Im Serapionstheater, wenn man es kennt, darf man engagiertes Spiel, Freude am Spiel und überbordenden Ideenreichtum erwarten. Und das ist gut so.