Die Napoletanerin Maria Pia de Vito gehört gewiss nicht seit gestern erst in die Elite europäischen Jazz-Gesangs. Dennoch braucht man immer mal wieder einige Zeit, bis man über solche singulären Erscheinungen auch stolpert. Auf der Suche nach noch nicht in der Sammlung befindlichen Spuren von Joni Mitchell stieß ich dann auf eine Aufnahme vom Umbria Jazz Festival 2006: Maria Pia de Vito, Danilo Rea und Enzo Pietropaoli Omaggio a Joni Mitchell. Und ich war sogleich fasziniert.
Dann heißt es natürlich, weiter graben: ihre 2000er-CD Verso
mit dem Gitarristen Ralph Towner und dem Pianisten John Taylor (zweite Kooperation des Trios: Nel Respiro 2002) springt auf Anhieb unter die Favoriten!
Hier finden sich stille Canzonetti, bei denen meist die Stimme im Mittelpunkt steht, ganz zu recht natürlich, denn Maria Pia de Vito versteht es, die Stimme gleichberechtigt neben Gitarre und Klavier zu setzen. Die Titel auf dieser CD sind Dialoge, keine begleiteten Gesänge, das macht sie wahrscheinlich so intensiv, und meiner Ansicht nach auch herausragend aus der Vokalmusik im neueren Jazz.
Verso ist weniger experimentell als Nel Respiro, doch keineswegs abgeschliffen oder gar platt. Auch scheint der napoletanische Dialekt sich hervorragend für ihr Unterfangen zu eignen, man denkt manchmal gar, in einer der ruhigeren Platten von Flora Purim oder Elis Regina gelandet zu sein. Beginnt etwa ‚Il Tramonto‘ mit einer wunderschönen stimmlichen Improvisation, die sogleich in den Bann zieht, entwickelt ‚I Knew It Was You‘ von Beginn an etwas mehr Drive – hier ist es der voraneilende Rhythmus und das Zwischenspiel John Taylors, die nicht mehr loslassen.
Es gilt aber eindeutig noch mehr zu entdecken:
Nauplia: mit ihrer langjährigen Begleiterin Rita Marcotulli nahm Maria Pia de Vito 1995 eine CD mit wunderbar lyrischen, stellenweise fast klassischen, barocken Liedern in napoletanischer Mundart auf, die man getrost als moderne Varianten neben die bisher sträflich wenig entdeckte Vokalmusik aus dem Neapel des 17. Jahrhunderts stellen kann! Ein wenig über die Jahrhunderte modernisiert, aber nicht weniger klassisch. Man lasse sich vom archaisch-sizilianischen Rhythmus der zweiten Nummer ‚Zitto Chi Sape ‚O Juoco‘ gefangen nehmen…