Natürlich war früher alles besser. Das ist mittlerweile bei der Wirtschaft so, für manche sogar beim Sozialismus. Erst recht in der Oper. Aber auch das war schon früher so. Die Zeitschrift Fono Forum geht in ihrer Jänner-Ausgabe der Frage nach, was für Sängerinnen und Sänger wir denn heute noch haben, gemessen an einer Flagstad, Lehmann, Leiders, gemessen an einem del Monaco, di Stefano, Bergonzi…
Ich habe einst versucht, mich in eine wohlfeile Gesamtedition der Opern mit Beteiligung der großartigen Maria Callas einzuhören. Mich stören daran zwei Dinge, die jedenfalls für mich jeden Genuss der isolierten Gesangskunst zunichte machen: die Klangdynamik der Aufnahmen ist steinzeitlich, das Klangbild klirrend, es hat die von mir gar nicht geschätzte Anmutung von abgenudeltem Vinyl. Aber auch der Gesangsstil ist seltsam exaltiert. Es tut mir leid, aber unter diesen Rahmenbedingungen kann ich mich nicht wirklich an der Gesangskunst erfreuen – was im übrigen auch für andere Archivaufnahmen gilt, die zu allerhand Gedenktagen hervorgekramt werden.
In erster Linie ist Nostalgie wohl eine Erscheinung beginnenden Altersstarrsinns. Es wird einem zu mühsam, sich neue Werke anzuhören, sich mit neuen Persönlichkeiten auseinander zu setzen – und eine je individuelle Erinnerungsdeformation sorgt für einen unförmig gekrümmten Vergessensraum, in dem auf einmal die fernen Dinge näher stehen als die heutigen. Die musikalische Geschmacksbildung – das ist ja inzwischen hinreichend untersucht – stagniert irgendwann, da scheint auch das Qualitätsurteil sich zu verfestigen und zu verwurzeln. Hinzu tritt eine erinnerungsökonomische Filterung, die sich auf Highlights beschränkt und die weniger begnadeten Dinge gnadenvoll unter den Teppich kehrt.
Oh, wer dann ein Tagebuch oder – neuzeitlich – ein Blog hätte! Da könnte man dann seinen Unmut im Großen nachlesen, seine Begeisterung für Details, die vielen vielen Ereignisse im langen Leben eines Musikbegeisterten. Das haben aber die wenigsten, man rekonstruiert aus den Trümmern, die das Gedächtnis einem aufzubewahren geschafft hat.
Für meinen Teil kann ich der Nostalgie in Gesangsfragen eher wenig abgewinnen. Die alte Zeit, in der insbesondere Radiosendungsmacher gerne schwelgen, denen ich hiermit unterstelle, einer ökonomischen Direktive ihres Veranstalters zu gehorchen, derzufolge das Abspielen von Archivware keine Tantiemen mehr kostet, ödet mich einfach nur an. Ja ja, sie waren alle großartig – und die Staatsoper hatte ihre große Zeit sowieso unter Karajan.
Ich bin sehr zufrieden mit dem heutigen Angebot, mit den jungen Sängerinnen und Sängern, nicht alles, was alt ist, ist zwangsläufig auch schon gut. Gerade im Bereich der Barockmusik beweist sich das Gegenteil: Vivaldi unter Karajan ist schlichtweg indiskutabel, Händel-Aufnahmen aus den sechziger Jahren tun weh: das Transponieren der ursprünglichen Gesangstimmen auf die Tonlagen von Tenören und Sopranen, eine vollkommen unterentwickelte Kultur des Mezzo, gestrichene Dacapos, verpönte Verzierungen… Ich kann dem nichts abgewinnen.
Das liegt aber vielleicht auch daran, dass diese Zeiten für mich allzu fern liegen: da war ich noch keineswegs an Klassik interessiert, obgleich ich das beginnende Interesse an zumindest symphonischer Musik auf meine späten Teens zurückführen kann. Allerdings war dann in meinem musikalischen Universum mehr als ein Jahrzehnt lang der Jazz so dominierend wie es heute die Klassik ist. Vielleicht also stören mich diese Heroen der Vergangenheit deswegen, weil ich nicht in der Lage bin, irgendeine positive Beziehung zu ihnen herzustellen, die über die äußerliche Beurteilung hinausgeht: ich bin besseren Klang gewöhnt, ich habe mich immer und in jeder Gattung recht rasch von den zentralen Strömungen weg bewegt an die Randbereiche – Neue Musik, Kammermusik, Barockoper – und kann mit Brahms, Rosenkavalier oder dem Neujahrskonzert ganz einfach nicht.
Für das eigene Leben kann ich da nur hoffen, dass der Starrsinn sich etwas länger Zeit lässt und die Neugier möglichst lange erhalten bleibt.