Heute steht Giovanni Paisiello im Schatten Rossinis – und schon gar, was den Barbiere di Siviglia angeht: beide haben das gleiche Libretto vertont, Rossini fast 34 Jahre später, aber noch zu Lebzeiten Paisiellos.
Die Unterschiede könnten kaum größer sein, zwischen den beiden Vertonungen liegt die Durchsetzung der sogenannten Opernreform Glucks. Paisiello komponierte noch eine traditionelle opera seria, Rossini dagegen schon ganz im modernen Stil. Anno 1816 ist Rossini damit durchgefallen, sein Vorgänger hatte weitaus mehr Erfolg. Allerdings nicht von Bestand, denn heute ist Paisiellos Barbier die Rarität…
Und trotzdem: auch wenn man Rossinis Barbier nicht vorhalten will, dass das Werk inzwischen reichlich angedroschen ist, bietet die opera seria ungeahnte Höhepunkte, neben denen Rossini eigentlich gar nicht so großartig abschneidet. Die Musik hat enorm viel Witz bei Paisiello, weitaus weniger Emphase als bei Rossini – und das tut dem Werk eigentlich gut. Paisiellos Komposition wirkt deutlich frischer.
Das mag natürlich daran liegen, dass im Theater an der Wien kein geringerer als René Jacobs am Pult des Freiburger Barockorchesters das musikalische Geschehen bestimmt. Hier wird luzide, klarsichtig und pointiert musiziert, die an zahlreichen Stellen eingebaute musikalische Komik Paisiellos darf blitzen und schimmern wie nur je.
Pietro Spagnoli singt einen von Eifersucht getriebenen Vormund auf seiner Bahn in die unvermeidliche Niederlage. Der ranke Finne Topi Lehtipuu, so nebenbei ab 2016 auch Musikdirektor des Helsinki Festival, singt einen hilfsbedürftigen Almaviva, André Schuen den resoluten Diener und Herumtreiber Figaro. Dessen Arie über seine Wegen kreuz und quer durch Spanien lässt schon seinen großartigen Metierkollegen Leporello grüßen. Paisiello klingt nicht selten wie Zeitgenosse Mozart – und das ist nicht einmal geringschätzig gemeint. Ganz zu recht hatte er zu Lebzeiten enormen Erfolg.
Die Norwegerin Mari Eriksmoen, hier am Haus schon als Euridice in Monteverdis Orfeo bewundernwert, kriegt von der Regie einen verzagten Start verordnet: zunächst will man nicht recht glauben, wie distanziert ihr Auftrittsarie klingt – doch es ist dem Konzept geschuldet, das sie eine komplette Szene tief im Hintergrund der Bühne singen lässt. Dass es nicht an ihr liegt, hört man spätestens im zweiten Akt. Sie ist eine glänzend unbedarfte Rosina mit dem ganzen Repertoire vom zarten Schmelz bis in die Entrüstung. Von der Leidenschaft gar nicht zu reden. Ich würde das Gehörte getrost höher bewerten als die nicht unbegnadete Graziella Sciutti von 1959.
Leider gibt’s noch keinen Ton von Paisiello von Mari Eriksmoen, zum Trost sei auf den Mozart’schen Figaro verwiesen.
Mit anderen Worten: die Regie murkst. Moshe Leiser und Partice Caurier simulieren einen Otti Schenk, scheitern aber daran. Nahezu sämtliche Angebote von Komponist und Librettist, in das Lustspiel einzutauchen, lassen sie ungenutzt vorüber gehen. Allerdings wäre es doch noch ein Stück weiteren Wegs gewesen, den sie aber nicht gegangen sind, das Ganze gegen seinen Strich zu bürsten. Komödie findet allein in der Partitur statt. Bei einem so selten gespielten Werk wird somit geradezu die Chance eines Jahrzehnts vertan. Die Ausstattung passt dazu, wenngleich sie im Detail recht liebevoll ist (antike Lichtschalter!).
Ob des Werks und der stupenden Musikalität des gesamten Ensembles ergab sich ein mehr als gelungener Abend – es hätte aber auch konzertant nicht wirklich was gefehlt. Leider. Das Werk heisst zwar im Titel ossia la precauzione inutile, jedoch bedeutet das nicht die vergebliche Umsetzung.