Philosophische Raubzüge

Zuweilen enden fundamentale Mißverständnisse mit Enttäuschungen; zu anderen Zeiten mit Ärger; dann und wann auch in Verwunderung

Die Kette der Mißverständnisse ist lang, wenn in Verkleidung als Philosoph der Theologe Robert Spaemann ein Buch über die Existenz Gottes schreibt:

  • Zunächst einmal sollte die Philosophie schon die längste Zeit von der Theologie geschieden sein – genau genommen hat die ehemalige ancilla von sich aus die Stellung gekündigt.
  • Andererseits ist die Metaphysik, deren Bereich Götter und dergleichen eindeutig zufallen, vom Beginn der Neuzeit an allmählich aus der Philosophie verabschiedet worden – der Versuch einer christlichen Philosophie ist demnach eine contradictio in adiecto.
  • Theologen sind notorisch bekannte Plünderer im Fundus der Philosophie – man könnte sagen, theologische Argumentation wider die Philosophie besteht seit dem Machtverlust der Kirche über die Denker in Raubzügen.

Ist aber nun der Fundus philosophischer Texte aus der gesamten Geschichte des Fachs – in allen Weiten und kaum gesetzten Grenzen der Jahrhunderte – ein Haufen bunt hingeworfener Gedänkchen, die man plündern kann nach Gutdünken und Frommen des Zwecks? Nun, man kann – soll heißen: Spaemann kann. Er tut es einfach. Das ist ein Ärgernis von der ersten Seite an.

Zuerst zwingt er die eigene Formulierung

Glaube an Gott ist Wunderglaube

und das Zitat

„Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.“ (Wittgenstein)

in einen Zusammenhang.

In Unkenntnis von Ludwig Wittgenstein könnte man das ja vielleicht für passend halten. Es bürstet aber den Philosophen vollkommen gegen den Strich.
Das kumuliert gleich auf der nächsten Seite (vorläufig und zugleich endgültig: denn weiter habe ich nicht mehr gelesen) in der Bemühung eines zweiten Satzes von Wittgenstein:

Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert. Wenn es einen Wert gibt, der Wert hat, so muß er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen, denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig. Was es nicht zufällig macht, kann nicht in der Welt liegen, denn sonst wäre dies wieder zufällig. Es muß außerhalb der Welt liegen.

Spaemann setzt unmittelbar (im selben Absatz, gerade mal durch den Namen des Philosophen in Klammern voneinander getrennt) mit einer Definition von Leibnitz fort, Liebe sei Freude am Glück eines anderen. Der Satz Wittgensteins hat mit dem Satz von Leibnitz in etwa so viel zu tun wie der Anbau von Äpfeln in Kukmirn mit einem Topfenstrudel: nichts. In Worten wie in Zahlen wie in Früchten.
Unmittelbar vor dem Satz von Wittgenstein steht in eigenen Worten des theologischen Denkakrobaten, der Sinn selbst, das Heilige und Schöne sei und sei unzerstörbar.
Das ist ein gekonnt platzierter rechter Aufwärtshaken zwischen den Seilen hindurch. Wo kein Gegner steht.
Ich dachte mir schon, ich würde im Tractatus logico-philosophicus fündig werden – und richtig: der Satz steht unter dem Gewicht 6.41 da drin.
Nun muss man wissen – oder einfach nur nachlesen:

  • Die Abteilung 6 beschäftigt sich mit der Wahrheit von Sätzen.
  • 6.4 sagt: Alle Sätze sind gleichwertig.
  • Darauf eben folgt der eingangs zitierte Punkt 6.41 über den Sinn der Welt.
  • In 6.42 folgert Wittgenstein, darum könne es auch keine Sätze der Ethik geben. Und weiter: Sätze können nichts Höheres ausdrücken.

Im Tractatus geht es um die Unterscheidung sinnvoller von sinnlosen Sätzen. Wittgenstein will unsinnigen Sätzen nicht das Gesprochenwerden aberkennen, er weigert sich lediglich, sie in einem Diskurs über Wahrheit anzuerkennen. Unsinn, wie ihn auch Moritz Schlick versteht, ist der diametrale Gegenwert zur Tautologie: diese hat einen so geringen logischen Spielraum, dass sie sich im Kreise dreht; der Unsinn aber hat ein so weites logisches Feld, dass keine Aussage mehr darin steckt.
Die Plünderung fremder Texte auf brauchbare Partikel hin – man würde journalistisch dazu sagen: aus dem Zusammenhang reißen, doch ist es schlimmer – sollte man eigentlich bei einem studierten und habilitierten Philosophen, wo doch die akademische Disziplin fast nur noch statt aus Denken aus dem Wiederkäuen von Literatur besteht, ausschließen dürfen.

Das Verfahren wäre eines Feuilletonisten würdig: man zitiert die Galionsfiguren gegnerischer Positionen unrichtig und versucht damit, sie in den eigenen Kontext zu ziehen; der Irrtum auf Seiten der Theologie besteht aber darin, dass eine Gegenerschaft voraussetzen würde, dass man einander auf Augenhöhe gegenüberstünde. Ein Kommentar dazu erübrigt sich – wer sich mit dem Glauben einläßt, scheut das Denken.

Doch an Wittgenstein reiben sich die Theologen des öfteren gern – auch der unselige Bischof Kurt Krenn tat dies in einem Vortrag De veritate 1997. Krenn vermag wenigstens den Gedankengang des Philosophen korrekt darzustellen, wenn er schon nicht die Erkenntnisse zu teilen oder anzuerkennen gewillt ist.

Aber das eigene Argumentieren des Herrn Spaemann bietet ein wahres Schmankerl: seiner Meinung nach wäre es verwunderlich, wenn ein aus dem Sack geschütteter Haufen Buchstaben einfach so den Prolog zum Johannesevangelium ergäbe. So weit, so gut: das wäre tatsächlich ein Wunder, wenn man eine sehr sehr geringe Wahrscheinlichkeit so nennen will. Die ist wirklich sehr klein, wenn man die anzahl an beteiligten Buchstaben berücksichtigt.
Allerdings ist die Funktionalisierung dieses Gedankens frappant: unter expliziter Beiseiteschiebung von Ockam’s Rasiermesser folgert Spaemann aus dieser extremen Unwahrscheinlichkeit, dass wohl auch die Welt nicht zufällig entstanden sein wird. Ein Wenig Lektüre von Ockham, vor allem der Texte zur Erkenntinis und Wissenschaft, täten auch dem Herrn Theologus nicht schaden.

Das kurzwellige Denken scheint Herrn Spaemanns Lieblingsdisziplin zu sein – wir aber lassen einfließen, dass der Text (Proglog des Johannesevangeliums) einen Autor hat. Und wir dürfen fragen, woher der Autor kommt, wie er zu seinen Inhalten steht, usw – das führt uns über in die Frage nach Herkunft und Wesen des Menschen überhaupt. Wir dürfen (und sollen wohl auch) immer weiter fragen. Das Entstehen des Textes ist ganz eindeutig nicht zufällig, denn wir haben einen Schuldigen. Auch wenn wir seinen Namen und seine weitere Identität nicht kennen, wird sich der Text nicht selber geschrieben haben oder vom Himmel gefallen sein.
Merke: nicht jede Kleinigkeit braucht direkt dem absoluten Zufall zu unterliegen! Kausalketten sind manifest, die Frage ist lediglich, ob an ihren sehr weit entfernten Anfängen eine Konstallation von Partikeln und Kräften steht, in deren Welt der Zufall bestimmt. Im schnellen Durchmarsch hängt damit alles und jedes letztendlich vom Zufall ab. An Stelle dieses Zufalls – so wie er in der Teilchenphysik sich äußert – einen Gott zu stellen, ist weder blendend noch besonders witzig, es ist ein Rückschritt. Und das Rasiermesser der Wissenschaft schneidet solchen Unsinn zu Recht einfach weg. Zufall und Gott sind nicht gleichwertig austauschbar: Gott wirft eine Menge Fragen auf, die man aber nicht stellen darf – sonst begeben wir uns in eine permanenten Regress, der wiederum nur durch Setzung eines anfänglichen Zufalls zu beenden wäre. Der Zufall hinwiderum wirft Fragen auf, die wir hoffen können, eines Tages beantworten zu können.

Nachdem also Spaemann (kurz) den Ärger geweckt und (fast gleichzeitig) die Enttäuschung hervorgerufen wie vergegenstandslost hat, bleibt nur die Verwunderung: wie war ich fähig, die Tantiemen dieses Herrn noch zu mehren, indem ich sein Werk kaufte?
Welches Buch von Herrn Spaemann? Das tut wenig zur Sache. Ich habe es ins Altpapier entsorgt. Sind auch die darin enthaltenen Gedanken wertlos, so mag immerhin das Material einer weiteren Verwendung zugeführt werden.

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