Das Drama des Kleist’schen Helden ist – unabhängig vom historischen Vorbild – ein Träumer: er träumt vom Ruhm, er träumt von seiner Braut, der zu erklären er sich erst im Laufe der Handlung getraut, und träumt vom „freien Tod“ für „das Gesetz“.
Natürlich war solches Material für die nicht eben wählerischen Nazis ein gefundenes Fressen – und Kleist einer, dem man auch leicht solche Gewalt antun konnte: unter all dem Pathos und der nicht so einfach nachzuvollziehenden Blick- und Positionswechsel der Begriffe Freiheit und Vaterland im Zeitalter Napoleons schrieb Kleist ein Stück, das weniger der Entwicklung des Individuums Augenmerk zollte denn der Verankerung von Befehl, Gesetz und Opferung. Dem tut selbst das plötzliche Happy End keinerlei Abbruch.
Möglicherweise liegt es an Kleists Sprache, die auf dem Höhepunkt der klassischen, am frühesten Beginn der romantischen Epoche der deutschen Literatur deren bestgebaute Prosa, zugleich aber auch deren schwerstverständliche dramatische Poesie hervorbrachte, dass man nicht und nicht herausfinden kann, ob es sich um eine Liebesgeschicht‘, ein politisches Drama oder ein psychologisches Portrait handelt. Offen bleibt daher auch die Frage, was Ingeborg Bachmann daran interessiert haben mag, die für den befreundeten Hans Werner Henze das staubige und bös belastete Stück Kleistens in ein quasi modernes Libretto überführte.
Immerhin kommt durch gerade diese Bearbeitung Der Prinz von Homburg unter den wenigen intelligenten Libretti der Operngeschichte zu stehen. Und: man mag vom Drama Kleists halten, was man mag; die Musik Henzes ist in ihrer dramatischen Dichte dank ihrer spezifischen Mischung aus Serialität, Beständen von tonaler Musik und Zwölftontechnik eine der herausragenden Arbeiten moderner Opernliteratur. Unter der Leitung von Marc Albrecht wurde sie im Theater an der Wien aufgeführt.
Der Lyrik und expressiven Kraft dieser Musik verleihen die Wiener Symphoniker Klangkraft und Antrieb, sie erweisen sich einmal mehr als Spezialisten des modernen Repertoires – und machen damit entschieden wieder gut, was sie im April im gleichen Haus am frühen Mozart angerichtet hatten.
Die Rollenverteilung in Henzes Partitur ist eher ungerecht: Bariton Christian Gerhaher in der Titelpartie tritt während fast zwei Stunden niemals von der Bühne ab: und liefert dabei eine sangliche wie darstellerische Präsenz- und Glanzleistung! Die teils äußerst kraftvollen Partien wurden von Gerhaher in veritabler Lautstärke und vollem Ton gesungen, das Schlachtengetümmel zu übertönen oder seiner zwischenzeitlichen Verzweiflung nicht minder laut Gehör zu verschaffen.
Neben ihm ist nur der angebeteten Natalie – die strahlend und mit eher hellem Sopran ausgestattete Britta Stallmeister – ein Wenig Raum gegeben, den sie mit vollem Einsatz zu füllen versteht.
Etwas Präsenz darf auch der Kurfüst beanspruchen, den der Amerikaner John Uhlenhopp als einen leicht genervten Potentaten anlegt, der unabhängig von Ergebnissen ganz einfach erwartet, dass man ihm gehorche – und der durchaus noch Zeit für spitzfindige Sophismen über Recht und Rechtmäßigkeit findet.
Der Rest des Sängerensembles dient Henze eher als Chorersatz mit nur gelegentlichen solistischen Einsprengseln.
Eben diesen Chor führt die Regie von Christoph Loy in statischer Bewegung – was nur ein Widerspruch ist, wenn man das nicht gesehen hat – ein Wenig an der Nase herum. Wie überhaupt das gesamte Konzept der Regie in der ausgeprägten Positionslosigkeit der kleist’schen Metapher gefangen erscheint – zusätzlich sozusagen eingekerkert in eine bunkerartige, dunkle Bühne, zu der nur eine einzige Tür führt und in der einzig ein Waschbecken mit Neonlicht sich befindet – von dem man überhaupt nicht sagen kann, welche Funktion es habe oder in Bezug auf welche Szene es überhaupt existiere.
Dank der Kraft der henze’schen Partitur – die pure, antriebsstarke Musik ist – und der Leistung der Protagonisten fällt es aber nicht weiter auf, dass das Stück keine Aussage, die Regie kein Konzept und die Ausstattung keinen Plan hat: totale Verwirrnis.