Zwei schlanke Bücheln, wenn auch nicht allzu neu, sind mir dieser Tage in die Hände gefallen:
Der Löcker-Verlag hat schon 2004 den Briefwechsel Dollfuß-Mussolini – „Der Führer bin ich selbst“ neu aufgelegt, der es eigentlich in sich hat:
Dr. Engelbert Dollfuß, zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Briefe Bundeskanzler der Republik Deutschösterreich, dokumentiert hier höchstselbst, dass die Ereignisse des Februar 1934 von ihm inszeniert und provoziert wurden mit dem klaren Ziel, die Sozialdemokratie in österreich auszuschalten. Durch einen historischen Zufall wurden die Dokumente schon 1949 publiziert und konnten nicht für 50 Jahre den Schutz der Archive geniessen – denn ein amerikanischer Historiker fand sie zu Kriegsende in ausgelagerten Archiven und publizierte sie zunächst auf Englisch. So konnte auch die deutsche Version rasch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ohne auf Sperrfristen zu achten.
Dr. Adolf Schärf – ab 1957 Bundespräsident der zweiten Republik – schreibt im Vorwort zur Ausgabe 1949 klar und ohne die heute schon wieder üblich gewordene parteipolitische Rücksichtnahme:
Die Veröffentlichung der Urkunden kann die Luft reinigen: Die einen haben die Gewissheit, die Bestätigung, daß ihnen Unrecht widerfahren ist. Unrecht unwidersprochen ertragen zu müssen, ist aber wohl das Bitterste, das einem widerfahren kann. Die anderen, die an Dollfuß geglaubt haben, weil sie von seiner Propaganda mißleitet worden sind, erfahren die Wahrheit und gewinnen damit einen neuen Standpunkt zur Betrachtung eines der traurigsten und beschämendsten Kapitel der jüngsten österreichischen Geschichte.
Leider ist diese Hoffnung nicht aufgegangen, denn ein Kanzler Wolfgang Schüssel fand schon nicht nur überhaupt nichts mehr dabei, ein Portrait dieses Dollfuß im Büro hängen zu haben, sondern war auch noch Stolz auf diesen seinen Vorgänger.
Nebenbei muss man aber auch den Dr. Adolf Schärf ins recht Licht rücken – er gewann 1957 seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf mit dem Slogan
Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr!
Was aber soll man zu den Briefen sagen? Furchtbar zu lesen, denn sowohl der Duce schreibt einen geschwollenen Stil, als auch Dollfuß in einem ziemlich devoten, nahezu submissen Domestikenjargon.
Relativ klar wird: Mussolini drängte Dollfuß zur Errichtung des Faschismus – und Dollfuß fand ernsthaft Gefallen daran und an seiner Führerrolle. Mit der blutigen Unterdrückung der Sozialisten und Kommunisten hatte er keinerlei Probleme.
In Heilige Scheine – Marco d’Aviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus, einer Darstellung des erst 2003 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochenen Marco d’Aviano und seiner langen Wirkungsgeschichte, werden wesentliche Hintergründe des katholisch-klerikalen Faschismus gerade auch des Dr. Dollfuß erhellt:
Der ganze Sumpf aus christlich-sozialer Regierung und Einflussnahme des politischen Katholizismus, bis hin zur Ausbreitung des klerikalen Faschismus, entspringt im Barock, in der Zeit der Türkenkriege, als der radikale Katholizismus eine erste Hochblüte erfuhr. Der Kapuziner-Prediger und nachmalige Beichtvater Kaiser Leopolds I. Marco d’Aviano trieb unermüdlich den Hass gegen die Türken voran, auch und vor allem nachdem sie längst besiegt waren.
Dieser militante Katholizismus, der auch nach innen über Leichen ging, mag in der Zeit der Türkenkriege seine Funktion erfüllt haben – man war allseits nicht zimperlich damals. Als Leit- und Vorbild aber des Klerikalfaschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war dieser Rückgriff ein zwar typischer Anachronismus einer rückwärtsgewandten Ideologie, aber nichts desto weniger für sehr viele Gegener des Systems tödlich.
Dass gerade der gleichfalls extrem rückwärtsgewandte und stockkonservative polnische Papst durch den Abschluss des Seligsprechungsprozesses für d’Aviano ein Zeichen setzte, ist wohl weder Zufall noch Unbedachtheit – sondern Programm. Der Segen, den der politische Rückzug der Kirche aus unserer Politik ins Land gebracht hat, sollte offenbar auf Dauer nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
Es scheint wieder Zeit zu sein für Retter des Abendlandes. Man muss also wirklich darauf aufpassen, dass sie sich nicht wieder Positionen an den Trögen der Macht zurück erobern – wir werden das sonst mit tiefer Finsternis und rücksichtsloser Unterdrückung zu büssen haben.
Dabei sind da eigentlich rechte Kasperln am Werk: der Bildteil des Bändchens bringt teils wahrhaft skurrile Aufnahmen aus der Zeit der ersten Republik, eine Mischung aus soldatisch-uniformierter, aber kaum glaubwürdiger Forschheit und pausbäckiger Schäfchenseligkeit bei Gottesdiensten und sonstigen heiligen Verrichtungen. Im Grunde lachhaft, wenn es nicht einst auch bitter ernst gewesen wäre…