Die akademische Philosophie scheinen seit einigen Jahren gröbere Existenzängste zu plagen: und das ist gut nachvollziehbar, greift doch die Neurobiologie – als Wissenschaft der Erforschung von Gehirn und Sinneswahrnehmung – in eine Kerndomäne der spekulativen Philosophie ein: wenn sich wissenschaftlich klären ließe, wie Wahrnehmung funktioniert, wie Entscheidungen im Gehirn funktionieren, dann könnte man einen weiteren Bereich aus der Philosophie entlassen – geradeso wie es mit der Physik zu Newtons Zeiten geschah.
Die Crux ist: eine Wissenschaft hat nur dann Anspruch auf diese Bezeichnung, wenn ihre Ergebnisse sich in einem kausal bestimmbaren Raum bewegen, denn sonst wäre sie nicht Wissenschaft im Sinne des Wortes. Das aber bedingt im Fall des Gehirns: sind die Prozesse im Gehirn kausal bedingt, fällt die Freiheit – zumindest in ihrer absoluten Gestalt als sogenannter Freier Wille – weg. Das schockt vor allem jene, die im Kern ihrer Überlegungen von einem überstofflichen Reich der Zwecke ausgehen.
Als Wissenschaft ist die Neurobiologie inzwischen wohl unbesehen als etabliert anzusehen. Daran können auch die verschiedenen Anwürfe beamteter Philosophen nicht mehr rütteln. Mit ihren Ergebnissen ist heutzutage ebenso zu denken, wie zu Zeiten Kopernikus‘, Galileis oder Newtons mit deren Erkenntnissen über unser Unviersum. Leugnen ist zwecklos.
In Das Gehirn und seine Freiheit: Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie handeln die Herausgeber Gerhard Roth und Klaus-Jürgen Grün von der Krise, in der die analytische Philosophie – oder die Philosophie des Gesites – heute steckt, wenn man das aus den kräftigen Schlägen schliessen will, die sie in Richtung auf die Neurobiologie und generell die Neurowissenschaften verteilt.
Im Kern dreht es sich um die Frage der Existenz eines Reichs des Geistes, das unabhängig von den physiologischen Vorgängen im Gehirn existieren soll. An sich ein Konstrukt, mit dem die Philsoophie schon recht lange operiert, ohne es allerdings bisher jemals dingfest gemacht zu haben. Einen extremen Vertreter dieser Richtung hatte ich vor kurzem das zweifelhafte und mühsame Vergnügen, zu lesen: Alain Badiou.
Es ist vermutlich so, wie es schon bei Platon war: zwischen den Dingen, die in unserer Wahrnehmung auftauchen, und den Dingen selbst, besteht ein garstiger Graben. Konnte schon Platon ihn nicht überspringen, so erst recht niemand nach ihm; der Königsberger Reisemuffel Immanuel Kant schuf immerhin die nötige Klarheit: wir können gar nichts anderes tun, als die Erscheinungen untersuchen. Bis zu den Dingen an sich reicht unser Griff nicht. Um diese Problematik kreist die Philosophie bereits seit dreitausend Jahren, wenngleich sich auch bisweilen die Argumentation wie bei Kant schon recht nahe an eine zwingende Aufgabe der Spekulation annähern konnte.
Manchen erscheint der Gedanke unheimlich, dass die biologisch-chemischen Vorgänge in unserem Gehirn schon alles gewesen sein sollen… da muss es doch noch etwas geben! hört man sie vernehmlich rufen. Denn in diesem Fall steht viel auf dem Spiel: wäre, was sich im Gehirn und unserem Nervenapparat insgesamt abspielt, zugleich auch das Denken, dann fielen körperliche Ursachen und geistige Gründe in eins. Das Denken wäre dann nicht mehr frei, sondern in Vorgängen des Körperlichen determiniert.
Aber dieses Problem ist keineswegs neu in der Philosophie. Arthur Schopenhauer hatte schon festgestellt:
Ich kann tun, was ich will. Aber kann ich wollen, was ich will?
Die versammelten Aufsätze von Roth, Grün und anderen beleuchten in erster Linie die massive Diskussion zwischen Amtsphilosophie und neurowissenschaftlich inspirierten Positionen. Dabei dürfte die Klarheit recht eindeutig im Lager der Neurowissenschafter stehen; die Wahrheit – im Sinne menschlichen Wissenschaftsgebrauchs – wohl ebenso.