Sog und Strudel

Die Handlung ist einigermassen reduziert: nicht in der hellsichtigen und zugleich gotisch-schaurigen Romanvorlage Die Besessenen des Polen Witold Gombrowicz, da entrollt sich das Panorama der vor ihrem Untergang stehenden polnischen Gesellschaft der 30er Jahre, sondern im Libretto von Christoph Klimke. Es tut schon weh, wie da eine breit aufgelegte Geschichte in eine kleine Fabel gepresst wird – das muss folglich schief gehen.

Musikalisch aber hat Johannes Kalitzke seiner Oper ein präzises Uhrwerk eingebildet, einen spiralförmigen Fortgang der kompositorischen Module

diese Module werden immer neu sortiert, neu kombiniert. Letztlich klingt es zwar wie Entwicklung, blickt man aber in die Tiefe der Entwicklung, erweist sich aber, dass die Einzelteile, Atome, genetischen Codes stets identisch sind: musikalische Entwicklung inszeniere ich immer als Illusion.

so Kalitzke im Programmheft.

Eingebildet sind eine Reihe von Versatzstücken populärer Musikkultur, die allerdings keineswegs Zitate, sondern vielmehr intelligente Anklänge an Bekanntes sind. Daraus entsteht der Eindruck eines Sogs, wie ihn die Fabel des Librettos vorschreibt.

Naturgemäß gibt es in einer Neuen Oper keine Arien oder als solche identifizierbare Stücke, wohl aber arbeitet Kalitzke in den zahlreichen Duetten und Terzetten – sowie den Ensembleszenen des nicht eben zahlreichen Personariums – den gesanglichen Formenkanon auf – und manches, was modern oder populär klingt, beruht auf uralten Formen etwa des Chorals, des mittelalterlichen Hoquetus oder Elementen aus der Musik der Renaissance.

Der Komponist hat die Oper in starker Rückkopplung mit dem Regisseur Kasper Holten entwickelt – was jedoch nicht unbedingt für eine bessere Verträglichkeit von Werk und Aufführung sorgt. Letztere leidet stark unter dem beständig erhobenen Zeigefinger, der die Thematik partout ins Hier und Jetzt – und in eine gedankenlos verkürzte und generell wenig intelligente Parallele zur sogenannten Wirtschaftskrise unserer Tage – setzt. Das hat weder gombrowiczens Vorlage noch das musikalische Werk Kalitzkes nötig. Inwieweit es das Publikum nötig hat, sei dahingestellt.

Das Klangforum Wien, geleitet vom Komponisten selbst, brillierte in der kräftigen Mischung der Stile mit schrillen wie plakativen Tönen, vor allem die Schlagwerker Lukas Schiske und Björn Wilker haben entschieden zu en großartigsten Passagen beigetragen, aber auch die Verwendung von Akkordeon und E-Gitarre sowie moderner keyboardsAlfonso Alberti – bereicherte den ungewohnten Klangkosmos.

Herausragend – und qua Jugend wie aufreizendem Kostüm automatisch in den Mittelpunkt gestellt – verkörperte die belgische Sopranistin Hendrickje van Kerckhove die Maja, zentrale Figur in einem Totentanz um das Erbe des herabgekommenen Fürsten Holszanski. Sie leistet sich auf hohem gesanglichen Niveau die Nonchalance und Durchtriebenheit einer verführerischen, aber nichtsdestotrotz kaum minder morbiden jungen Frau, um die sich der eine Wirbel dreht, der sich – ähnlich Mond und Erde um die Sonne – seinerseits im Wirbel um die zu erbende Kunstsammlung des Fürsten dreht.

Die Männer sind allesamt Karikaturen, eine Profilierung etwa ins Dramatische oder Tragische ist Libretto wie Regie nirgendwo geglückt:

  • der Brite Leigh Melrose als Cholawicki, eher farblos
  • sein Landsmann Benjamin Hulett als Tennislehrer Lesczuk
  • der Österreicher Manfred Hemm als Skolinski – am Hause an der Wien schon in The Rake’s Progress – die am wenigsten exaltierte Rolle in diesem Panoptikum seltsamer Perchten
  • der österreichische Bassbariton Rupert Bergmann – hier zuletzt in Henzes Prinz von Homburg – als völlig daneben gegangene Karikatur des sexbesessenen alten Mannes namens Maliniak
  • der Berliner Altist Jochen Kowalski wird in der knappen Rolle des alten Fürsten Holszanski deutlich unter Wert geschlagen, macht aber trotz recht alberner Kostümierung die gute Figur eines Profis

Bleibt noch die Frau Mama, eine gleichfalls wenig sympathische Zeitgenossin, die selbst vor dem Verkauf ihrer Tochter nicht zurück schreckt: viel hat sie nicht zu singen, das Wenige aber bringt die israelische Contralto Noa Frenkel gekonnt an die Rampe; leider haben ihr Libretto und Regie keine besondere Verwendung zugedacht.

So sind wir denn bei der leidigen Thematik der Inszenierung selber angelangt: die Regie spielt mehr mit dem Klischee als dass sich da wer was zu denken scheint. Und für die Kritik der Warenwelt ausgerechnet auf das Setting eines Supermarktes zurück zu greifen – vielleicht ist es aber auch ein längliches Kaufhaus mit dem Flair der 80er-Jahre -, stellt auch dem dänischen Bühnenbildner Steffen Aarfing kein Zeugnis als besonders kreativem Denker aus. Zumindest stört das Ganze nicht wirklich.

Marie í Dali sind die Fehlgriffe in der Ausstattung des über-karikierten Maliniak und die an Rübezahl gemahnende Verkleidung des alten Fürsten anzulasten, der Rest war denn eher Konfektionsware.

Was hier musikalisch als Sog konzipiert ist, funktioniert trotz der platten Inszenierung auch durchaus, wenn auch das Libretto eher der kulinarischen Bedeutung des Wortes Strudel nahe steht.

Insgesamt kann aber Die Besessenen von Johannes Kalitzke als gelungenes Kopfstück einer im Theater an der Wien geplanten Serie von Uraufführungen Neuer Oper angesehen werden. Man kann sich da in den nächsten Saisonen noch auf weitere neue Stücke freuen. Näheres dazu wäre natürlich interessant – aber die Intendanz knausert da noch mit Informationen…

Siehe auch: Interview, wikipedia-Eintrag.

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