Vom Waten im Morast (1)

Die Suche nach der Wahrheit scheint immer noch eine der Grundkonstituenten jeglichen Philosophierens zu sein – und von ihrem Auffinden hängen scheinbar auch Moral und Wissenschaft ab, zuletzt in gestaffelter Reihenfolge alles Weitere von der Wissenschaft: Moral von der Wahrheit, Wahrheit von der Wissenschaft. So jedenfalls sieht es schon Rudolf Carnap, der in der Folge zum wichtigsten Begründer der analystischen Philosophie wurde.

Man muss irgendwo einen Anker haben, eine begründete und begründbare Basis finden, von welcher aus der weite, ungewisse Ozean der Welt und Gesellschaft sich erschließen lasse. Auf irgendeinem Felsen müssen wir stehen. Und das mag in empiristischer Sicht der Erlebnisstrom des Betrachters der Realität sein oder in analytischer Perspektive auf eine Übereinkunft im Sprachgebrauch hinauslaufen.

Aber egal wie klein diese Basis im Lauf der Jahrhunderte, vor allem in den letzten beiden, auch angesetzt wurde unter dem Druck der Unhaltbarkeiten, es will nicht gelingen, irgendeinen dieser Punkte in der Brandung zu stabilisieren.
Der letzte gemeinsame Ort scheint jedoch – in diesem Sinne wie zusammengezogen in einen nur mehr theoretischen, ausdehnungslosen geometrischen Punkt – das bloße Postulat zu sein, dass es einen Anfang, einen Ausgangspunkt, eine Basis in der Bedeutung festen Bodens unter den spekulativen Beinen geben müsse. Was sich aber immer mehr als Wunschdenken herausstellt.
Die Wissenschaften, vornehmlich die naturwissenschaftlichen Fächer, tun sich da ungleich leichter: sie haben ihre Theorien, ihre Vorgehensweisen, die zwar nicht immer wirklich systematisch sind oder durchgängig überhaupt vorhanden sind, wie Feyerabend monierte, aber sie kommen über das praktische Beweissystem, dass sich als gültig und damit in irgendeinem außerphilosophischen Sinn auch wahr erweise, was gemäß Vorhersage eintrete. Das mag wie ein harter Test aussehen, der alle Scharlatane und Spinner scheitern zu lassen vermöchte.

Dabei brauchen die Wissenschafter dieser Disziplinen sich keineswegs um einen übergeordneten Wahrheitsbegriff zu bekümmern, denn sie haben einen, der operabel ist – und überdies die Angewohnheit, sich anzupassen, wenn der allgemeine Schwerpunkt der Theorien weiterzieht. In den Naturwissenschaften ist Wahrheit ein Bezug in einem umfassenden System, das aber keineswegs Komplettheit verspricht, und vor allem in der Lage ist, sich zu verändern, sodass heute Wahres morgen unwahr sein kann. Diese Wissenschaften sind in der glücklichen Lage, sich weiter entwickeln zu können.

Die Philosophie dagegen steckt seit fast drei Jahrtausenden im Morast der Grundlagen fest. Sie sucht festen Boden, auf dem sie stehen könne, aber sinkt dabei unaufhörlich ein. Gleichzeitig scheint es aber, dass der Auftrieb, der sie am vollständigen Untergang hindert, für irgendeine Berechtigung des Fachs sprechen will.

Mit Ideologie, und sei sie noch so leise, kommt man allerdings auch nicht weiter. Sinn läßt sich nicht erzwingen in der Philosophie. Vielleicht liegt gerade darin das Problem: in der Regel haben die Denker ihre Systeme fertig im Kopf, sie suchen bloß noch einen Ort, um sie aufzustellen. Einer übernimmt vom Vorgänger das Gebilde, bastelt weiter daran herum und trennt sich ungern davon.

Die Biographien von Wittgenstein und Heidegger (so erzählt jedenfalls Richard Rorty) zeichnen einen solchen Weg nach: am Versuch, grundlegendes zu leisten, ja gar die Philosophie einer Erledigung qua Fertigstellung zuzuführen, haben sie mit zunehmendem Alter ihr Scheitern erkannt und im Spätwerk versucht, diesen Irrtum pädagogisch nutzbar zu machen und zum mindesten diese ernüchternde Erkenntnis weiterzugeben.

Da scheint beinah die Haltung der Skepsis die vielversprechendste: bloß nicht anstreifen…

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