Nach vier langen Abenden – gut: drei langen und einem kürzeren – beim mittelmäßigen Ring in der Staatsoper endlich wieder ein echtes Opernerlebnis: Nikolaus Harnoncourt, der morgen seinen 80sten Geburtstag feiert, dirigierte heute Abend das Dramma gioccoso nach dem Libretto von Carlo Goldoni Il Mondo della Luna von Jahresregent Joseph Haydn: zum ersten Mal seit Haydn’s Tagen wieder auf Originalinstrumenten!
Entsprechend auch das Klangerlebnis von den ersten Takten der Ouverture an. Klingt Händel unter Alessandrini oder Curtis nahezu scharf, so klingt Haydn vom Concentus Musicus unter Harnoncourt weich, mit dem originalklang-typischem Volumen, ohne dass deswegen die Details ins Hintertreffen gerieten. Die Feinheiten und die unzähligen musikalischen Einfälle Haydns kommen präzise, sein Witz und Esprit bleibt deutlich hörbar. Und auch ein früher Mozart, der sich allerorten in der Partitur zu tümmeln scheint, ist eigentlich ein Papa Haydn.
Als Kenner etlicher Opernwerke von Haydn überrascht es mich nicht, welche musikalische Vitalität und Ausdruckskraft, welche Vielfalt an Einfällen und welches Ingenium bei der Umsetzung der fürstlich Eszterhazy’sche Kapellmeister auch in Il Mondo della Luna gelegt hat. Von seiner Anlage her noch Opera seria, hat sich die Gattung aber aus ihrer barocken Einschränkung weiterentwickelt: Haydn stehen auch schon Duette und Ensembleszenen zu Gebote, das erhöht – gegenüber Händels Repertoire aus Rezitativ und Arie, nur manchmal ergänzt vom Coro – die musikalische wie dramatische Ausdruckskraft. Und was für ein Werk ist das geworden!
Dass hier musikalisch ein Leckerbissen und rares Ereignis zu erwarten war, verstand sich von vornherein. Die offene Frage galt der Umsetzung in der Regie von Tobias Moretti, der ja bereits erste Meriten mit Opern gesammelt hat. Und dazu ist zu sagen: es ist ihm auf der ganzen Linie gelungen, eine schlüssige, ernstzunehmende und dabei noch königlich amüsante Komödie auf die Bühne zu bringen. Wie Moretti die Geschichte anlegt und stringent erzählt, ist ein Hauptspass und ein wahrlich seltenes Ereignis auf der Opernbühne, denn der Tiroler schafft das ohne jeden Rückgriff auf abseitigen Humor oder brachiales Schenkelklopfen.
Dem Regisseur geht dabei ein junges, nicht nur sanges- sondern wahrhaft spielfreudiges Ensemble zur Hand: Vollblutkomödiant Dietrich Henschel zieht als Buonafede alle Register und unterwirft sich noch dem perfidesten Spott seiner Quälgeister mit einer spielerischen Souveränität, die ihresgleichen sucht. Dem Berliner Bariton gelingt dabei selbst der glaubwürdige Wandel vom biederen Spiesser und unter der bürgerlichen Oberfläche brodelnd abwegigen Spanner zum lunatic, zum arglosen Narren in der Welt auf dem Mond, um schlussendlich als Abgeklärter im Verzicht auf patriarchale Macht, geile Gelüste und sogar sein Vermögen zu enden. Dabei gesanglich absolut auf der Höhe geblieben zu sein ist eine wirklich bemerkenswerte Leistung!
Seinen einfallsreichen Widerpart Ecclitico, den Astrologen, wissenschaftlichen Taschenspieler und Mondverkäufer, verkörperte der brilliant disponierte Schweizer Tenor Bernhard Richter, der hier im Hause auch schon den Medoro in Haydn’s Orlando paladino – gleichfalls unter Harnoncourt – sowie diesen Sommer den Don Ottavio im Mozartschen Don Giovanni gab. Ihm forderte die Partitur mehr ab als die Regie, doch blieb auch sein Part spannend, vor allem in den nicht eben harmlosen Arien.
Neben Buonafede/Henschel vielleicht etwas vernachlässigt vom Komponisten, zeigte die aus Alaska stammende Altistin Vivca Genaux, die zuletzt in Rossinis Tancredi mit stimmlicher Schwäche zu kämpfen hatte, was sie bei voller Gesundheit zu leisten vermag: hier muss man bedauern, dass der Komponist ihrem Ernesto nicht mehr Gelegenheiten, ihre Kunst zuz zeigen, ins Werk geschrieben hat; das Vorhandene aber geriet vorzüglich. Langsam beginne auch ich, die Schönheit der Altstimme zu schätzen.
Ein wahrer Genuss auch die weiblichen Rollen: eine zaudernde Tochter Flaminia – bei wenig Gelegenheit eindrucksvoll und stimmstark Anja Nina Bahrmann – sowie ihre quirlig entschlossene, umtriebige und abenteuerlustige Schwester Clarice – schmuck anzusehen und ein Genuss zu hören Christina Landshammer, der Haydn zum Glück ausreichend Material zur Verfügung gestellt hat, sodass man mehrfach die Chance hat, ihrem klaren und auch in den Tiefen wohlklingenden Sopran zu lauschen. Aber auch ihr schauspielerisches Geschick verdient durchaus Beachtung.
Eine wahre und dabei sich selbst verstrickende Intrigantin bietet die Rolle der Dienerin Lisetta, was die Spanierin Maite Beaumont – sowohl im komödiantischen wie im sanglichen Fach – bis ins letzte auszureizen verstand. Ihre Auftrittsarie im ersten Akt gestaltete sie – mit frisch geschlachgtetem blutigen Kaninchen und Küchenbeil – zum wunderbar tiefgründigen Portät einer skrupellosen Domestikin mit Ambitionen aufs herrschaftliche Geld. Ein echter Höhepunkt aber das Duett mit Buonafede im zweiten Akt: das von Haydn mit Trompetenstößen unterlegte Aufeinandertreffen wurde von Moretti als musikalischer Watschentausch inszeniert, was beiden Darstellern eine Reihe von bravourösen Szenen und kalt-warmen Wechseln von instinktiver Abwehr und ab und an möglich erscheinender Zuneigung erlaubte.
Den Diener Cecco, der in der Mondkomödie den Kaiser gibt, sang Markus Schäfer; auch er ein Spassmacher-Talent und großartiger Sänger, der gleichfalls schon im Ensemble des Orlando paladino mit von der Partie war. Meisterlich seine nahe am Überschnappen angelegte Verinnerlichung der kaiserlichen Rolle, die beinahe die gesamte Komödie in den Absturz drängt, gelänge es nicht, ihn selber aus dem Geschehen zu drängen.
Es ist frappant, wie bühnentauglich eine vom Aufführungsbetrieb seit Jahrhunderten vergessene Oper wie Il Mondo della Luna doch eigentlich ist. Das Stück bietet durchgängig musikalische Qualitäten, wie man sie von Mozart gewohnt ist, dabei eine burleske Handlung, die sich augenzwinkernd bis durchaus deftig umsetzen lässt – ein Spannungsfeld, das von Tobias Moretti souverän beschritten wurde. Seine Personenführung blieb trotz aller komödiantischen Extras lebensecht, worunter aber der Spass nicht zu leiden hatte.
Bewegungsintensiv ist neben den quirligen Sängern vor allem die Bühne von Renate Martin und Andreas Donhauser – ein recht willkürliches technisches Konstrukt, das aber bisweilen von der Regie genial eingesetzt wurde. Auch die Kostüme waren diesmal bemerkenswert: Kostümbildnerin Heidi Hackl ist das keineswegs häufige Kunststück gelungen, Szenenapplaus für ein Kostüm zu erhalten: wenn Buonafede sich die boshaften Sinnes bereitgestellte Kleidung, vermeintliche Gabe des Mondkaisers, anlegt.
Man kann Oper auch leichten Sinnes geniessen – nicht immer muss einem nachher von der fett-schweren Bedeutung übel sein. Was Wagner sich abgemüht hat, auf die Bühne zu stellen, hat Papa Haydn so nebenher aus dem Ärmel geschüttelt. Und besser.