Georgs Bizet hat mit der Carmen eine Oper geschrieben, deren Popularität schon recht bald sich als ihr Fluch herausgestellt hat: die vielen eingängigen Melodien haben für gassenhauerische Beliebtheit gesorgt, und allzu viele Aufführungen produzieren sie als seichte Operette – und dabei lassen wir echte Provinzpossen noch ganz ausser Acht.
Ernsthaft musiziert und inszeniert aber beweist das Werk eine Kraft, die weit über die vielen hübschen Liedchen hinausgeht, die der Komponist seinen Darstellern reingeschrieben hat. Und zum Glück versteht man an der MET viel davon…
Zuerst einmal leitet der Kanadier Yannick Nézet-Seguin das Orchester des Hauses mit dem nötigen Schwung, jedoch ohne all die galoppierende Schunkelei, die das Stück bisweilen auf den Rang eines Strausswalzers degradiert. Die pianissimi sind so klar und betont herausgearbeitet wie in den forte-Passagen noch hörbar Wert darauf gelegt wird, dass die Pferde am Zügel bleiben.
Die Lettin Elīna Garanča ist keine heissblütige spanische Zigeunerin, aber sie spielt eine, dass einem der Atem stockt! Und sie singt eine aufsässige, liebreizende, mit Bedacht verführende Frau, die selber heftig liebt, aber leider auch rasch das Interesse an ihren Liebhabern verliert, gar wenn diese allzu beherrschend werden wollen. Erotik und Selbstbehauptung.
Bemerkenswert vor allem ist das Talent der Lettin, sich perfekt in die Ensembles einzufügen und ihre Tanzeinlagen ohne jegliche Peinlichkeit zu absolvieren – Choreograph Christopher Wheeldon verlangt ihr einiges ab, sie bewältigt die Schritte elegant und professionell, während sie zugleich betörend singt.
Schön ist sie obendrein, fast ein Wenig groß für Ihre Mitspieler, doch eine wirklich glaubwürdige Carmen – und das können nur die wenigsten behaupten, die die Rolle schon gesungen haben. Man könnte natürlich allmählich anfangen, darüber zu philosophieren, welche Veränderungen die Verbreitung von Opern auf Kino- und Heimkino-Leinwänden für die Sängerinnen und Sänger bringen wird: wird auch sie bald der Zwang zur guten Figur ereilen?
Eine solche macht Roberto Alagna nur sanglich, als von einer Carmen/Garanča begehrter Liebhaber, der noch dazu bloss ein Soldat ist, ist er eigentlich wenig glaubwürdig. Er mühte sich denn auch mit der Impersonisation des Don José merklich ab; gesungen hat er aber allerfeinst.
Was man vom Escamillo der Aufführung nicht behaupten kann: ursprünglich sollte der Pole Mariusz Kwiecien, den ich noch sehr gut aus der Lucia di Lammermoor in Erinnerung habe, singen, doch musste der krankheitsbedingt absagen. An seiner Stelle sprang kurzfristig der Neuseeländer Bariton Teddy Tehu Rhodes ein – seine Performance ist vor allem gesanglich nicht ganz auf der Höhe; sympathisch braucht er ja nicht zu sein.
Allerliebst und brilliant Barbara Frittoli als Micaela, die ursprüngliche Braut des Don José. Sie hat den lyrischen Part, kein großartiges Liebesgesäusel und auch kein überbordendes Gefühl. Doch ihr leises, verinnerlichtes Leiden beeindruckt.
Insgesamt grosse Oper. die Inszenierung von Richard Eyre tut dem Stoff keine Gewalt an, sie erzählt stringent und recht folgerichtig eine der grundlegenden Geschichten der Menschheit. Und viele Opernregisseure könnten von ihm lernen, wie man einerseits plattes Herumstehen der Hauptdarsteller vermeidet, und andererseits eben nicht in unmotiviertes Herumwuseln verfällt.