Herr Villazón hat schon reichlich Berühmtheit angehäuft, wenn auch in den letzten Jahren eher als vermeintlicher Traumpartner von la Netrebka und durch frequentes Absagen. Wie kaum anders zu erwarten, auch heute: nicht der Mexikaner sang mit Anna Netrebko in Lucia di Lammermoor – er hat vor ein paar Tagen abgesagt – , sondern der junge polnische Tenor Piotr Beczala. Ich habe inzwischen Rolando Villazón so oft nicht gehört, dass er mir schon auch gar nicht mehr wirklich abgeht.
Musste ich mich letztens in der Staatsoper grässlich langweilen, so bot die MET zu diesem Gaetano Donizetti wieder alles an Kraft, Ideenreichtum und Perfektion auf, was in der Gattung Oper steckt. Jedenfalls sehr, sehr viel.
Ja, im bequemen Fauteuil mit ausreichend Fußraum und HD Live-Bebilderung kann es eigentlich nur ein phantastischer Abend werden. Die Segnungen des 21. Jahrhunderts sind keineswegs von der Hand zu weisen!
Aber auch die klassische Kunst kommt in der MET nicht zu kurz: denn natürlich war Anna Netrebko eine erstklassige Hauptrolle, gar keine Frage. Jedoch: die Presenterin des Abends, Natalie Dessay, hat bis vor kurzem in eben dieser Inszenierung selbst die Lucia gesungen – und das hätt‘ ich fast noch lieber gesehen und gehört. Doch da geht es nicht um die sanglichen Qualitäten, die sind bei beiden Damen unbestreitbar von Weltformat. Ist die Annissima eine Schmachtlocke, so ist mir nicht klar, was von dem quirligen Schauspieltalent und der grandiosen Kommödiantin Dessay im Drama zu erwarten wäre. aber dazu hätt‘ man zeitgerecht in New York sein müssen.
Also: Frau Netrebko sang mustergültig, das kann sie ja. Herr Beczala stand seinen Mann als ihr Liebhaber Edgardo so eindrucksvoll, dass Herr Villazón nicht extra zu vermissen war. Die wahre Entdeckung in dem Kammerspiel der Verzweiflung war aber der andere Pole, Mariusz Kwiecien als erbarmungsloser Clanhäutpling Enrico, der seine Schwester Lucia in Ehe, Verzweiflung und Wahnsinn treibt. Ein wahrhaft geniesserisch Böser, ein virtuos und konzentriert von Macht und Einfluss Besessener.
Zum Intensivsten in der Oper gehört jene un-geschwisterliche Szene zwischen Lucia und Enrico am Beginn des zweiten Aktes – wenn hier denn zwei intensive Sänger und Schauspieler aufeinander treffen. Und das leisteten sie, ein glaubhaftes Ringen zwischen den Interessen des Clans und des privaten Glücks, zwischen der Hoffnung auf Stärkung und jener auf ein Entkommen – beide bewegten sich glaubhaft an ihren Rändern der Verzweiflung. Enrico war hier nicht nur der eindimensional Böse, der die Schwester kalt lächelnd übergeordneten Interessen opfert, er hatte selbst den kalten Wind des Bedeutungsverlustes im Rücken.
Marco Armiliato dirigierte einen dramatischen, doch niemals übertriebenen Donizetti. Denn auch die Inszenierung von Mary Zimmerman, die bislang ausschließlich als Theatermacherin hervorgetreten ist, mied starke Gesten. Nicht umsonst haben Donizetti und sein Librettist Salvatore Cammarano Morde und Tode – bis auf den finalen Selbstmord Edgardos – ins Off verbannt. Der liefert denn auch die schwächste Szene.
Die Bühne von Daniel Ostling ist dermassen aufwändig und beinah in jeder Szene anders, dass es mehrmals zu recht störenden Umbauarbeiten kommt. Ein Wenig tröstet einen die Übertragung, indem sie zur Verkürzung der Pausen Blicke hinter die Bühne und Aufklärung über eben diese Arbeiten gewährt, doch deswegen geht man eigentlich nicht in die Oper. Dieses teils oberlehrerhafte Brimborium stört die ansonsten perfekte Show. Und vielleicht auch die mehrfachen Sponsoring-Hinweise auf die Neubauer Family Foundation und ihre Verdienste um die HD Live-Übertragungen der MET. But: that’s America!
3 Gedanken zu “Von einem, der eigentlich nicht abgeht”