So ist es doch: für Freiluftaufführungen spielt das Wetter – und ganz allgemein und summarisch: die Bequemlichkeit – eine hervorragende Rolle. Und dem ist es auch zu verdanken, dass ich in den 10 Jahren, seit es die Opernfestspiele St. Margarethen im Burgenland gibt, es noch kein einziges Mal dorthin geschafft habe. Premiere also – der Dank dafür gilt der Mediaprint für die großzügige Einladung.
Den Nabucco sieht man immer wieder mal gern, wenn auch der junge Verdi hier merklich taumelnd am schmalen Grat zwischen Effekthascherei und Kitsch spazieren geht. Den Effekten kann man sich, erst mal in der Oper, dann doch nicht mehr entziehen; das „va, pensiero“ nistet sich im Gedächtnis des heutigen Zuhörers nicht minder penetrant ein wie bei den damaligen, den ersten Hörern in Mailand.
Wir durften ein wenig durch die Bühne stolpern (ja: hinten wie vorne), geleitet von Bühnenbildner Manfred Waba, und wurden richtiggehend angespitzt auf die irrsinnigen special effects, von der Lasershow bis zum Fenstersturz des brennenden Stuntman. Mich hat dabei sogleich die Befürchtung beschlichen, dass diese Dinge in der Dramaturgie des Temistocle Solera, der einstens das Buch zum Nabucco schrieb, keinen rechten Platz finden würden.
Und richtig: die beiden gleich zu Beginn der Oper gehängten Plünderer werden filmreif von den Zinnen gestoßen und baumeln dann wie hängengelassene Bungeejumper an den Gummiseilen. Nun ja. Es donnert und explodiert allenthalben – da kann man sicherlich froh sein, dass das in den normalen Opernhäusern wegen Inwändigkeit in eher gemäßigten Dosen eingesetzt wird. Schließlich bin ich für meinen Teil mehr wegen der musikalen Aufführung gekommen – oder eben vielleicht gerade deswegen 9 Jahre lang nicht, was soll man sagen?
Klanglich beginnt das Spektakel nahezu vollendet, man mag es während der gesamten Overture gar nicht glauben, im Freien zu sitzen, ganz ohne einen natürlichen Klangraum: denn es ist einer da, ein digitaler, technischer, aber ganz und gar befriedigender. Und solange der Hohepriester im Zentrum der Bühne singt, mithin genau geradeaus vor unseren Plätzen, fällt auch nichts weiter negativ auf. Gesang und Orchester sind besser abgemischt, als das in einigen Fällen den Herren Dirigenten in der Staatsoper gelingt.
Wie aber der als spektakulär gepriesene Turm durchs Stadttor bricht, feuerspeiernd versteht sich, kommt das volle akustische Desaster zum Tragen: ganz links vorne, hoch oben auf seinem Turm, singt Nebukadnezar – allein, man hört ihn nicht, vielmehr, man hört ihn von überall. Der kombinierte Fluch von breiter Bühne und zentraler Akusitkquelle kommt zum Tragen.
Das geht nun dauernd so, schmerzlich durch die Duette und Terzette – die Akteure stehen weit auseinander, denn schließlich ist Platz dafür, und singen aber so eng beisammen, dass man dauernd damit beschäftigt ist, zu suchen, wer nun grade wo singt. Anstengend, verwirrend, und mindestens um so viel unnatürlicher, wie es in den Opernhäuserns unnatürlich ist, dass alles Geschehen beständig auf kleinstem Raume stattfindet. Aber wegen der G’schichten und deren Plausibilitäten braucht man ja bekanntlich gar nicht erst hinzugehen, in die Oper. Wenn solches aber der Musik widerfährt, dann ist es um die Meriten der Gattung geschehen!
Die Aufführung spektakelt sich also voran, man zündelt, zündet, sprengt – und endlich, am Beginn des zweiten Aktes, kommt auch das zum Einsatz, was mit Lasershow nur unzureichend beschrieben ist: Laser überall, Show nirgends könnte man sagen. Hübsch eingesetzt wird das hochtechnische Instrumentarium erst im letzten Akt, wo es sehr ätherisch und einen Tick futuristisch das Gefängnis des Wahnsinns darstellt, in welchem Nabucco steckt.
Man hat es also schwer, dem ganzen etwas abzugewinnen. Doch sang Paolo Ruggiero einen hervorragenden Nabucco, stimmlich präsent (trotz der Omnipräsenz aus der Lautsprecheranlage), auch Gabriella Morigi als Abigaille hat mir ausnehmend gefallen. Der Ismaele von Vincente Ombuena war dagegen reichlich farblos – aber das ist auch ein zuinnerst Verdi’sches Problem, er schien Tenören nichts abgewinnen zu können, eher den tiefen Lagen. Dafür verlieh Vivien Cooksley der Fenena Drama und (musikalische) Verzweiflung. Mit der Anna von Makwala Saralidze schließt sich ein Reigen gut disponierter Frauen.
Schließlich dürfte auch die Kostümbildnerim im schlechten Sinne vollkommen unvoreingenommen an ihre Sache herangegangen sein: die Soldaten schauen in ihrer Vermummung irgendwie Palästinensern ähnlich, durch die falsche Farbe der Tücher aber eher den Ninja Turtles, die Anna schleppt an langer Kette einen überdimensionierten Davidstern mit sich herum, von dem nicht zu sagen ist, warum die Schwester des jüdischen Hohepriesters sowas rumzutragen hätte. Die Kostüme der Hauptdarsteller können leicht aus je vollkommen verschiedenen Opern stammen.
Zusammengefaßt war es ein leichter, genüßlicher Abend in linder Spätsommernacht, begonnen mit erstaunlich unsüßem Weißweingewächs aus der Region, die ja eher für schwere Süße bürgt und mich ansonsten eben deswegen abzuschrecken pflegt, und beendet mit einem Feuerwerk, das sich gewaschen hatte. Also am Ende der peinlichen Effekte doch noch ein unpeinliches Spektakel, wahrlich groß und zweifelsohne sauteuer!
Ob ich mir das nächstes Jahr zur Traviata wieder antu‘? Was für Mätzchen mögen den vereinigten Regisseuren, Bühnen- und Kostümbildnern da wohl einfallen? Einerseits könnte man gespannt sein – aber das hat mit Oper wenig zu tun, das gleicht eher der Vorfreude auf einen neuen Teil von Star Wars. Armer Verdi.