Die Wiener Symphoniker spielen Ludwig van Beethoven: das ist natürlich im höchsten Maße so etwas wie ein Heimspiel. Unter dem Dirigat von Fabio Luisi entwickelt daher auch der symphonische Gassenhauer Fünfte Symphonie seinen besonderen Zauber. Das gelingt ganz ordentlich, wenn auch weder herausragend noch besonders inspiriert – solide Arbeit eben, wie nicht anders zu erwarten.
Nach der Pause dann ein Stück, das überhaupt ins Programm genommen zu sehen, zunächst neugierig macht: Ferrucio Busoni komponierte 1903-1904 sein Konzert für Klavier und Männerchor op.39. Der Klavierpart ist dabei stellenweise zweifellos eines Virtuosen würdig, in anderen Passagen eher banal, in seiner Haltung aber doch stark in der Tradition Chopins oder Liszts stehend: das Stück ist nicht wichtig, das Orchester nur zur Einrahmung da, entscheidend ist allein die Fingerfertigkeit des Solisten. Es ist aber in seiner gesamten elegischen Breite und einer Dauer von nahezu 75 Minuten zunächst einmal eines: langwierig bis zur Fadesse.
Der in Triest geborene halbe Italiener und halbe Deutsche Ferruccio Busoni ist wohl einer der ganz großen Blindgänger in der Geschichte der modernen Musik.
Zunächst bestauntes Wunderkind und späterhin gefeierter Klaviervirtuose, wandte er sich nach der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert der Komposition zu. 1907 veröffentlichte er die sehr einflussreiche Schrift Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, in der er gnadenlos modern auftrat, was ihm eine zentrale Position im Musikleben seiner Wahlheimat Berlin eintrug – und den Zulauf vieler prominenter Schüler sicherte, von denen es einige späterhin zu größerer Berühmtheit und Bedeutung brachten: Edgar Varèse oder Kurt Weill etwa.
Vielleicht leidet die Position Busonis ja auch nur darunter, dass Schönberg und seine Schüler ihn bis zur Unsichtbarkeit in den Schatten gestellt haben. Wo Busoni Ansätze ausprobiert, sind sie aufgebrochen und haben den Weg zurückgelegt.
Busoni selbst mühte sich mit Experimenten, die ihn gar – recht früh in der Geschichte der Neuen Musik – bis auf Vierteltöne führten, doch er ließ seinen Ankündigungen und Theorien nur wenige, zudem kaum bedeutende Werke folgen – von denen alle erst nach 1907 entstanden. Sein Klavierkonzert steckt noch bis über beide Knie in der auslaufenden Romantik, da wo sie nur mehr röchelt und eigentlich schon nicht mehr lebt. Der bombastische Versuch, mittels eines Chores im Schlusssatz an Beethovens Neunte anzuknüpfen, ist mehr als vermessen – und folgerichtig auch gründlich schief gegangen.
Ernst Krenek schreibt in seiner Autobiografie Im Atem der Zeit über Busoni:
Trotz seiner beständigen Tiraden gegen die Romantik des neunzehnten Jahrhunderts war er eine typische Gestalt jener Epoche und setzt, wie mir schien, eher die Tradition Liszts fort, als daß er irgendeine Art von Moderne repräsentierte. Jetzt finde ich, dass Busoni sich eher wie eine Figur des achtzehnten Jahrhunderts verhielt, ein Verwandter der verrückten Spieler und Bonvivants vom Typ des kosmopolitischen Casanova. In seiner Persönlichkeit vereinigte er auf faszinierende Weise den rationalistischen Philosophen der Aufklärung mit dem Scharlatan und Bohemien.
Manche tote muss man nicht aufwecken, es ist durchaus zu ihrem Besten, dass sie in Vergessenheit gefallen sind.