Ein Provinzstück mit ebensolchen Anforderungen

Die Opern des britischen Paradekomponisten Benjamin Britten eignen sich hervorragend dazu, den Opernbetrieb mit Gegenwart anzureichern, ohne dabei gleich modern zu werden. Brittens Tonsprache ist rückwärtsgewandt, von später – oder zu spät gekommener – Romantik durchweht, damit eingängig, singbar und publikumstauglich. Besser wird sie dadurch aber auch nicht.

Das Theater an der Wien bringt aus dem Reigen Britten’scher Oevres ausgerechnet die eher schwache Rape of Lucretia: und da nützt leider auch die Starbesetzung mit Angelika Kirchschlager wenig. Um es vorweg zu nehmen: ihre eindringliche Szene im zweiten Akt ist der einzige Höhepunkt der Oper – und den bemeistert die aus Salzburg stammende Sopranistin mit Bravour. Nach einer Stunde Mopsigkeiten auf der Bühne dankt man es ihr denn auch frenetisch.

Die Geschichte wäre durchaus perfekt für eine Oper: im alten, noch von etruskischen Königen regierten Rom wird die ob ihrer Treue und Keuschheit gelobte Lukretia von einem königlichen Prinzen vergewaltigt, wie um zu beweisen, dass alle Frauen verfügbare Luder sind – was sie prompt in Verzweiflung und Selbstmord stürzt. Heraus kommt dabei aber eine aufgesetzte Fabel, die sowohl auf die Beleuchtung der Motive dieser Tat als auch auf die Ausarbeitung der individuellen Psychologien verzichtet, aber statt dessen ein paar unverschämt christliche Heilsversprechen bereithält.

Schuld an dem Desaster sind in erster Linie der Textfabrikant – ein wenig inspirierter Ronald Duncan -, der aus einer an sich optimalen Vorlage, die alle Elemente für große Oper bieten würde, eine sinnschwangere Wassersuppe braut, in der man vergebens nach brotstückchen fischt, sowie der Komponist selbst, der über Lappalien auch kaum je hinaus kommt. Auch scheint Britten die Verantwortung dafür zu tragen, dass dem Schluss der Oper noch eine vollkommen überflüssige Eschatologie aufgepropft wurde.

Die Idee eines klassischen Chors, den Duncan aus der griechischen Tragödie entlehnt, umgesetzt in schmalbrüstiger Besetzung von je einem Mann und einer Frau, kann gerade mal am Anfang der Oper ihren Reiz ausspielen, wenn es gilt, in das Setting der Handlung einzuführen. Allerdings kommen andere Operndichter ohne solche Einführungen aus. Je weiter dann der Gang der Dinge voranschreitet, desto unklarer wird die Rolle dieser Begleiter, sie werden zu Zwischenrufern.

Dicht ist zuerst einmal der Beginn der Vergewaltigungsszene, wenn Täter Tarquinius noch versucht, die erwachende Lukretia zu verführen – wessen sie sich verweigert, was dann in bühnenlogischer Folgerichtigkeit zur Anwendung von Gewalt führt. Hier leistet als Female Chorus die blutjunge amerikanische Sopranistin Angel Blue – aus der Werkstatt von Plácido Domingo in Los Angeles – eindringliche Basisarbeit, Warnerin der schlafenden Frau vor dem dräuenden Unheil wie des Täters vor der unabsehbaren Schuld, die er auf sich zu laden sich anschickt.

Leider hat Britten dem Ensemble wenig operntaugliche Partien geschrieben, was durchaus an seiner Dispositon liegen mag, dieses Werk spielbar zu halten auch für Provinz- und Laienbühnen. Ein lobenswertes Vorhaben, aber dann hätte man es im Theater an der Wien nicht unbedingt auf den Spielplan setzen sollen. So agieren durchaus veritable Sängerinnen und Sänger merklich ohne Stoff:

  • Kim BegleyMale Chorus
  • Jonathan LemaluCollatinus
  • Markus ButterJunius
  • Nathan GunnTarquinius
  • Jean RigbyBianca
  • Anja Nina BahremannLucia

Immerhin hat’s in dieser Oper wenigstens prominente Frauenrollen – was ja bei Britten (siehe schon Death in Venice hier im Haus) schon ein Positivum wäre.

Das für Neue Musik erstklassig prädestinierte Ensemble Klangforum Wien ist mit den Banlitäten Brittens hörbar unterfordert, die Britin Sian Edwards am Pult glänzt in erster Linie durch die Tatsache ihres Geschlechts, was noch immer eine Seltenheit auf renommierten Bühnen ist, und man kann bei dieser künstlerischen Ausgangslage natürlich nicht differenzieren, ob es an ihr oder doch eher der matten Partitur liegt, dass hier fast nichts entsteht, was man gemeinhin als gelungene Oper bezeichnen könnte.

Das Leading Team erweist sich als eher weniger erfolgreich: die Bühne – verantwortet von Ashley Martin-Davis – bewegt in nicht weiter nachvollziehbarem Rhythmus über den Köpfen der Agierenden auf schienen montierte Wohncontainer hin und her, der nähere Sinn oder Zusammenhang dieser Maßnahme erschließt sich allerdings nie. Auch an der Regie kann man mäkeln – Altmeister Keith Warner bringt hier wenig zu Stande, ja die Idee, parallel zur Oper eine Seitenhandlung, ein G’spusi zwischen Male und Female Chorus in Verkörperung eines Geschichtslehrers und seiner Studentin, anzudeuten, steht nebenher. Eine Deutung kommt nicht zu Stande, und der Vorwurf ist zu machen, dass man nicht den christlichen Verkündigungsschmus am Ende beherzt gestrichen hat. Die Oper hat vor dem ein natürliches Ende, wenn Lukretia sich entleibt. Da braucht es keine Verkündigungen mehr, die lächerlicherweise ein paar Jahrhunderte voraus weisen müssen. Ausgemachter Blödsinn.

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