Durch und durch uninteressant

Man kann nicht nur schlechte Vorlagen für Opern selber schreiben, was allerhand Komponisten der neuesten Zeit so gerne und – leider – so wenig erfolgsträchtig tun, man kann auch eine hochkarätige Theatervorlage nehmen und sie gnadenlos verhunzen. Eins der krassen Beispiele dieser Methode ist der Faust. Mit Goethes Stück kann man sich ein Leben lang befassen, es bietet erstaunliche Einsichten und hat eine sich im laufe der Beschäftigung beständig erweiternde Tiefe.

Tief ist hingegen in den Libretti zum Faust-Stoff in erster Linie die Schublade, aus der sie kommen: die Franzosen Jules Barbier und Michel Carré haben aus dem Faust I einen Schmachtfetzen von Opernstoff destilliert – für den sie die Vorlage eigentlich gar nicht gebraucht hätten; wohl deswegen läuft das Stück in Deutschland von jeher unter dem alternativen Titel Margarethe. Das kommt der Sache bedeutend näher.

Aber: Charles Gounod hat instrumentiert, was dabei das eigentliche Problem darstellt. Seine Musik ist in einem beängstigenden Grad platt, am schlimmsten dort, wo sie am erfolgreichsten ist. Aber weder das Publikum noch die Opernhäuser, die gerne volle Kassen haben, waren jeher ein Gradmesser für Qualität. Hier schwelgt der Herr Composituer denn auch in Märschen und Walzern, weil es sich grad so anbietet – als Leser des Goethe’schen Faust findet man jedoch keine Szenen, die ausgerechnet Marsch oder Walzer nahelegen würden. Den ganzen dritten Akt über läßt er seine Marguerite als Soubrette trällern. Da kann ich ja gleich in die Volksoper gehen.

A propos Volksoper: die MET hat es in dieser Inszenierung von Des McAnuff – der in den USA bislang in erster Linie als Musicalregisseur aufgefallen ist, aber sich daheim auf den Britischen Inseln auch an Shakespeare abarbeitet – geschafft, das eher nicht besonders hohe Niveau der Wiener Volksoper noch zu unterfahren; das Niveau ist diesmal eindeutig darunter, mit Ausnahme der Sänger, die sind naturgemäß besser, weil teurer.

Hier wird aus dem Margarethe-Stoff, den Gounod vertont hat, mti einem beherzten Eingriff wieder ein Faust gemacht: der Doktor ist Atomphysiker, sein Lebensende, von dem aus er zurück blickt und mit Hilfe des Mephistopheles in eine alternative Jugend reist, fällt just mit den Atombombenabwürfen in Japan am Ende von WKII zusammen. Das Motto scheint gewesen zu sein, zuerst die moralische Keule schwingen und erst dann nachdenken, wenn überhaupt. Es soll hier gar nicht die Diskussion vom Zaun gebrochen werden, wie die Alternative ausgesehen haben mag… aber konventionelle Tote interessieren die Leute, die solche Diskussionen führen, in der Regel nicht.

In der Oper wirkt es, gelinde gesagt, wie eine Warze auf pfirsichweicher Oberfläche. Was uns denn auch schon zu Hauptdarstellerin Marina Poplavskaya führt, vielmehr zu ihrem Gesicht: in seiner eminenten Breite ist es nahezu ausdruckslos, der viel zu kleine Mund macht es vollends zur Karikatur. Nun sind zwar Gesichter nicht das Thema einer Oper oder von Oper überhaupt, aber eine Übertragung Live in HD hat die Eigenheit, dass die Kamera an eben diesen Gesichtern klebt und fortwährend Großaufnahmen liefert. So ist man gezwungen, herauszufinden, dass es nur ganze wenige Winkel gibt, aus denen betrachtet dieses Gesicht einigermaßen erträglich ist.

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir Gounods Musik gestohlen bleiben kann, ergo wäre es ziemlich unfair, über die gesanglichen Leistungen zu urteilen. Es wird schon gepasst haben: Marina Poplavskaya hat mir in der Turandot ausgesprochen gut gefallen, Tenor Jonas Kaufmann, der den eher am Rande der Handlung sich bewegenden Faust spielt, kann eindeutig mehr – siehe seinen Siegmund, gleichfalls an der MET -, ganz wie auch der deutsche Bass Renè Pape, der als Boris zu begeistern wusste.

Mehr Energie – aber das liegt zweifelsohne an der Partitur – steckt natürlich im Valentin, den Russell Braun verkörpert und grandios singt, oder auch im Sièbel, den eine glänzende Michele Losier zu Gehör bringt.

Am Pult der designierte Musikdirektor des Philadelphia Orchestra, der Kanadier Yannick Nézet-Séguin – er leitet die Aufführung mit Schwung, was vielleicht zusätzlich zum Gesamteindruck einer Operette beigetragen haben mag.

In Summe war’s – wie eigentlich erwartet – ein verlorener Abend: Opernkunst auf Breitenniveau, zündende Melodien, viel Marsch und Walzer, wo ja bekanntlich nichts schief gehen kann, und recht ordentlicher Gesang… aber eben durch und durch uninteressant.

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