Vom langen Leben der Dummheit

Eine wirklich umfassende Geschichte hat der Oxforder Professor für Kirchengeschichte Diarmaid MacCulloch da geschrieben:

In seinem Buch Die Reformation 1490-1700 umspannt der Historiker nicht nur die Zeitspanne von den innerkirchlichen und politischen Entwicklungen, die direkt zu Luthers Thesenanschlag führten, bis zur Stabilisierung der protestantischen Reiche zu Beginn des 18. Jahrhunderts, sondern auch die Breite der Geografie: liegt ihm wohl schon aufgrund seiner Herkunft viel an der Darstellung der englischen und schottischen Reformationsgeschichte, so widmet MacCulloch viel Mühe den zentralen Schlachtfeldern zwischen Genf und Magdeburg, vergisst aber auch nicht auf die eher randständigen Gebiete Polen, Schweden oder die transatlantischen Kolonien.

Im Kern steht aber die Ideengeschichte: und so wird transparent, um welche haarsträubenden Differenzen es da ging. Als ob es, möchte man aus heutiger Perspektive rufen, auch nur einen Atemzug auch nur eines Menschen wert wäre, sich über die Auslegung von Augustinus in die Wolle zu kriegen, der ja beileibe ein verzichtbarer Schwafler war! Gut, er hat Spuren hinterlassen: beginnend mit seinem eigenen Wüten als Bischof gegen die arianischen Ketzer über den geistigen Kahlschlag in der Geschichte des Denkens des Mittelalters bis hin zur wieder ganz realen Blutspur im Zeitalter der Reformation. Stärke des Buches von Dairmaid MacCulloch ist es aber genau, hier klipp und klar herauszuarbeiten, in welcher Welt der damalige Mensch mit Haut und Haaren feststeckte, dass es überhaupt so weit kommen konnte.

Der Autor ist der Ansicht, dass Dummheit hier ein Vorwurf aus einem anderen Zeitalter wäre und daher gewiss nicht zulässig. Dem kann man aber Passagen seines eigenen Buches entgegen halten, in denen von Menschen berichtet wird, die zur gleichen Zeit und damit quasi live schon etwas weiter entwickelte Konzepte vertraten – wenn auch mit Wenig durchschlagendem Erfolg.

Man kann an dieser Geschichte wunderbar verfolgen, dass es zweierlei Methoden gibt, Menschen zu regieren – mit Gewalt gegen ihre Weltanschauung oder unter Ausnutzung ihrer Weltanschauung, was aber auch immer in Gewalt endet, gegen andere nämlich -, jedoch keine, vermittels Toleranz gegen fundamentale Tendenzen in der Religion anzukommen.

Erhellend ist auf jeden Fall die Darstellung der innerreformatorischen Kämpfe, die sich beileibe nicht nur in verbalen Attacken ausdrückten, sondern bis zur Verbrennung andersdenkender nicht-katholischer Christenmenschen gehen konnte. Die Genfer unter Calvin waren da besonders schnell bei der Sache, aber auch bei der kriegerischen Unterdrückung ganzer fundamentalchristlicher Gemeinschaften standen die Reformierten den Katholischen in nichts nach. Wenn man sich das anschaut, ist die Ansicht vieler Historiker, Totalitarismen wären ein dem 20. Jahrhundert vorbehaltenes Phänomen, nur schwer nachzuvollziehen. Die Liste der Kennzeichen von Totalitarismus ließe sich anhand der Genfer Calvinistenherrschaft ziemlich Punkt für Punkt abhaken. Was könnte der Staat noch mehr tun, als den Leuten bis in die Unterhosen nachzuschnüffeln? Um einmal nicht gleich die Heilige Inquisition zu bemühen.

Entgegen seinem Titel lässt MacCulloch aber auch die Gegenreformation ihren gebührenden Raum einnehmen. Wobei besonders spannend ist, wie das Abfüllen alten Weins in neue Schläuche immer wieder taugt, die Clientele zu täuschen. Und, wie das alte römische Prinzip Brot und Spiele stets aufs Neue zu erstaunlichen Erfolgen führt. Klar wird aber auch, wie es nirgendwo, bei den Päpsten nicht und schon gar nicht bei den katholischen Königen und Dynastien, aber auch nicht bei den Reformatoren und ihren Landesherren, um etwas anderes als Macht und Herrschaft geht.

Am Ende sagt man sich: schön und gut, so war das also. Dass Religion nicht gesund ist, wusste ich aber vorher schon. Doch selbst wenn man dezidiert etwas gegen ein hegelianisches Geschichtsmodell vom Fortschreiten der Entwicklung hat, kommt man nicht umhin, die Wege, die unsere Gesellschaft im Gefolge von Aufklärung und Französischer Revolution genommen hat, im Zurückschauen eindeutig für einen Fortschritt zu halten. Man stelle sich nur vor, wir wären hier gezwungen, diesen ganzen Dreifaltigkeits- und Marienunsinn zu glauben, nur weil unsere degenerierten Habsburger sich die Welt partout nicht anders glauben vorstellen zu können… Man darf hier bitte schon das Wort Dummheit in den Mund nehmen. Auch wenn sie sich als äußerst langlebig erwiesen hat und noch erweist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert