Vom Gutschreiben fremder Früchte

Als Leiter der Iran-Abteilung des britischen Foreign Office gehört Michael Axworthy zweifellos zu den Auskennern. Im britischen Staatsdienst hat fachliche Kompetenz Tradition – im Gegensatz etwa zu seinem zutiefst provinziell geprägten österreichischen Pendant. Dennoch ist das Vorhaben schlicht atemberaubend: die Geschichte des Kulturraums Persien/Iran in einem knappen und lesbaren Buch darzustellen.

Mit Iran – Weltreich des Geistes: Von Zoroaster bis heute ist dieser Teil des Vorhabens aber beeindruckend gelungen. Ohne sich in den Verästelungen dieser überaus langen Geschichte zu verheddern, steuert Axworthy zunächst zielstrebig durch die Jahrtausende.

Das ist dann aber zugleich die Schwäche des Buchs – oder es offenbart seine innere Zielsetzung: etliche tausend Jahre des Kulturraums werden recht rasch erledigt, dafür quält sich eine Reihe späterer Kapitel durch die bedingt interessante und allenfalls im Hinblick auf ein immanentes Verständnisgebot der heutigen Situation gegenüber nachvollziehbare islamische Geschichte zwischen dem Mittelalter und dem Ende des zweiten Jahrtausends.

Die Botschaft ist dann allerdings eher halbgar: es wird stillschweigend davon ausgegangen, dass die lange Geschichte von Hochkulturen im persischen Raum irgendwie auch auf die jetzigen Iraner abgefärbt habe – und dass das zugleich positiv zu bewerten sei. Beidem muss man sich aber nicht zwangsläufig anschließen.

Schief wird die ganze Darstellung auch dadurch, dass Axworthy die Geschichte des frühen Islam beginnend mit der religiös überlieferten, aber historisch nicht greifbaren Figur des Propheten und der Abspaltung der Schia ausschließlich in Bahnen der traditionellen Islamwissenschaften darstellt. Inzwischen ist aber doch ausreichend dargelegt, dass für diese Teile der Überlieferung jegliche Beweise auf wissenschaftlich fundierter Basis fehlen. Es hilft nicht wirklich weiter zu wissen, dass das Schiitentum sich auf ein paar Märchen gründet – denn der Mangel an historischer Gewissheit korreliert auch mit einem Mangel an inner-religiöser Quellen- und Auslegungskritik. Man weiß aus vergleichbaren Religionen, dass deren Überlieferungen stark vom Einfluss der jeweiligen Politik abhängig waren und mehr die Bedürfnisse der Interpretationszeit widerspiegeln denn eine wie immer geartete ursprüngliche Aussage.

Insbesondere ist es eine hoch explosive Ironie der Geschichte, dass es zu Zeiten der Begründung der Schia noch nicht einmal einen Islam gegeben haben dürfte – mithin eine bis dort zurück geführte Religionsgemeinschaft in Wahrheit in den recht absurden Wirren christlicher Streitereien wurzelt. Das wiederum macht diebische Freude.

Damit führt sich allerdings auch der Versuch ad absurdum, für den Istzustand die Geschichte verantwortlich zu machen; es ist vielmehr bloß eine religiöse Überlieferung, welche wie überall anders auch an den historischen Tatsachen geflissentlich vorüber geht, die letztendlich für die recht absurde Lage im Iran verantwortlich zu machen ist.

Bis heute steht ein unumstrittenes Beispiel aus, wie religiöse Dominanz und Wohlergehen in eins gehen können. Vom Fortschritt gar nicht zu reden – aber den kann man ja auch als unerwünscht wegdefinieren…

Die Frage ist natürlich, welchen Sinn eine Rückblende über mehr als vier Jahrtausende denn überhaupt haben mag, wenn wir doch wissen, dass sogar die Orientierung auf eine bloß hundert Jahre zurück liegende Vergangenheit mehr als problematisch ist und in erster Linie von der heutigen Interpretation gesteuert wird.

Es kommt natürlich darauf an, wofür man sich interessiert: die jahrtausendealte Kultur Persiens kommt etwas zu kurz hinter der reichlich flachen Geschichte des Landes in der Neuzeit. Die Safawiden, Quadsharen und Pahlawis sind im Grunde genausowenig der Rede wert wie die Mullahs. Wo Axworthy jedoch in den letzten anderthalb tausend Jahren ein Weltreich des Geistes erkennen möchte, bleibt schleierhaft: man kann eher von Kapitel zu Kapitel das Versinken im Morast der Religion beobachten. Wie überall in der islamischen Geschichte bezieht sich das beste auf eine Epoche, für die keineswegs geklärt ist, ob es den Islam da überhaupt schon gab. Da hatte er natürlich leicht tolerant und weltoffen sein, Arestotelismus und Medizin betreiben oder großartige Baudenkmäler hinterlassen. Man hat sich da offenbar einfach hintennach fremde Früchte gut geschrieben.

Dosierte Schadenfreude kommt zumindest in dem Moment auf, wo sich herausstellt, dass man mit der Vertreibung des letzten Schah den Teufel durch Beelzebub ausgetrieben hat – und dass es den Iranern heute nicht anders geht als unter der vorhergehenden Diktatur. Immerhin beläuft sich der Prozentsatz der Iraner, die das Freitagsgebet besuchen, nach Axworthy – und der wird es wissen – heute auf grade mal 1,4%. Damit stünde einer Abschaffung des Gottesstaates ja wenig im Wege. Sie werden schon noch draufkommen. Lustig wird das dann vermutlich aber nicht.

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