Ein Libretto geht daneben

Es ist wohl seit einem Jahrhundert bekannt, weswegen das musikalisch durchaus gelungene Intermezzo von Richard Strauss sich auf den Bühnen so gar nicht etablieren konnte: die Geschichte aus dem Alltag des Komponisten – eine banale Begebenheit aus der aufgeblasenen Bürgerlichkeit des Herrn Hofkompositeurs – ist so dürftig und wenig lustig, dass sein langjähriger Librettist Hugo von Hofmannsthal von vornherein dankend abwinkte und auch der notorische Vielschreiber, der nicht eben wählerisch war, was seine Stile und Stoffe anging, Hermann Bahr, nach einigen Versuchen aufgab, wonach der Komponist höchstselbst zur Feder griff: Frau Hofkompositeur, die ihrem Ehegespons eine sprichwörtliche Xanthippe und ein ausgewachsener Drache ihren Dienstboten ist, öffnet einen Brief, der an ihren Mann adressiert ist – und erfährt so von einem G’spusi ihres Gatten. Prompt droht sie mit Scheidung und sendet dem beruflich Entfernten ihre Blitze nach. Dann stellt sich heraus, dass alles eine Verwechslung war: aufgrund einer Namensähnlichkeit hat ein Wiener Mädel zwei Kapellmeister ähnlichen Namens verwechselt. Ehe wieder gut, alles gut. Daneben plenkelt Frau Hofkompositeur ihrerseits mit einem jungen Baron, der aber in erster Linie Geld von ihr will. So weit so wenig geistreich.

Was also in die Rubrik Anekdoten einer weniger wissenschaftlichen Biografie des Herrn Kompositeurs Strauss gehörte, wird hier abendfüllend ausgewälzt – und gibt so ein weiteres klares Indiz dafür, dass ein Komponist sich nach Möglichkeit nicht am Libretto vergreifen möge. Herr Richard Wagner ist beredtes Beispiel für das totale Scheitern solcher Anmassung. Straussens Opusculum gerät nicht zum Gesamtkunstwerk sondern nur zur halbseitig gelähmten Miniatur. Das hat seinerzeit auch schon Karl Kraus wortmächtig bemängelt:

Was aber unter der Selbstherrschaft des Schwindels möglich ist, zeigt doch die Vertonbarkeit der häuslichen Freuden und Leiden samt der Skatpartie des Herrn Richard Strauss und vor allem die gewichtige Literatur, die zur Agnoszierung der Urbilder dieser Welt von Albernheit geschrieben werden konnte.

Die Musik dagegen ist Richard Strauss in Reinkultur, die quengelige Frau Hofkompositeur Christine Storch eine der sehr schwierigen und vor allem langen Partien der Sopranliteratur. Und hierin glänzte die Baslerin Carola Glaser ganz und gar ohne Fehl und Tadel. Dass Kammersängerin Soile Isokoski hier krankheitsbedingt absagen musste, hat also nicht geschadet.

Wohl aber scheint die Aufgabe dem ursprünglichen Regisseur Christof Loy zu viel geworden zu sein, sodass seine Adlaten Axel Weidauer und Thomas Wilhelm einsprangen – und prompt einen veritablen Bauchfleck hinlegten. Wo schon das Libretto nichts hergibt, sollte wenigstens die Inszenierung rettend einspringen, doch das scheint sich zu den beiden nicht herumgesprochen zu haben. Dass dem Personal auf der Bühne mindestens sosehr der Plan fehlt, wie es dem Text an jeglicher Art von Relevanz mangelt, ist aber eindeutig der Regie geschuldet.

Dass die Rolle des Hofkompositeurs Storch nichts hergab, dafür kann auch Bariton Bo Skovhus nichts; er kämpfte stimmlich brilliant um Haltung dem ganzen Umfug gegenüber, allein Herr Strauss hat sein Alter Ego rettungslos in einen niveaulosen Schmarren verbacken. Die restlichen Rollen gewinnen erst gar nicht genug Momentum, um aufzufallen. Auch die Bühne – von Henrik Ahr, der sich deswegen nicht extra aus Hamburg herbemühen hätte müssen, wenn er nicht sowieso in Wien ansässig wäre – passte durchwegs in diese gesamte Napfkuchenhaftigkeit.

Gerettet hat den Abend – neben Carola Glaser, die wahrhaft hörenswert war – aber der musikalische Leiter Kirill Petrenko, der das RSO Wien zu einem ernsthaften Strauss-Klang führte, die vielschichtige Musik mit einer guten Portion Sinn für ihre Ecken und Kanten behandelte. Man versteht nun, warum das Intermezzo in der Regel konzertant aufgeführt wird. Jedenfalls wurde aufs neue eine Chance vertan, zu beweisen, dass dem nicht so sein müßte. Dennoch: solche Experimente sind immer noch besser als die lauwarme Art, mit der in der Staatsoper Verdi verwurstet wird.

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