Englisches Gemüse

Was soll man zu einem Roman wie Struldbrugs von Ernst Brauner sagen?

Er hebt mit artifiziellen Sätzen an, die fast an Musil erinnern, nur dass der Autor das keine fünf Absätze durchhält. Er beginnt eine Geschichte zu erzählen, die sich um durchaus Interessantes drehen könnte, das Altern, die Illusion des Nicht-Alterns, die Absurdität von Unsterblichkeit, doch Herr Brauner serviert einen Kalauer in Gestalt eines in persona unsterblich gewordenen Isaac Bashevis Singer, der obendrein unecht jiddelt.

Hier beginnt es weh zu tun – weshalb auch Bild und Link zu amazon unterbleiben…

Leider setzt Brauner gleich noch eine weltverschwörerische Bande alter Herren (und einiger Damen) drauf, die sich im Innern eines Bergs beim heutigen Megiddo in Israel versammelt, das nicht umsonst der biblische Ort Harmagedon ist – und spätestens hier wird einem einfach schlecht: was wie Musil begonnen hat, schlägt um in einen wasserblassen Ian Fleming.

Man ahnt es bereits, die Hälfte des Buchs ist um, und das war noch lange nicht der letzte Griff ins Exkrement – was nicht herabmindernd gemeint ist, sondern eine Materialbeschreibung. Die Weltverschwörung der Unsterblichen scheitert, die Gesellschaft schlägt zurück und sperrt ihre Alten ins Ghetto. Was natürlich im KZ endet, und Herr Brauner ist Herzchen genug, uns das Wagner-Jauregg-Spital in Linz als Vernichtungslager für nutzlos gewordene Greise auszumalen, samt einer Neuauflage der Mühlviertler Hasenjagd.

Man muss diesem Teil des Buches das eine lassen, es steckt in ihm eine Idee, die frappiert und verängstigt: man kann dieselbe Entrechtung wie sie einst den Juden angetan wurde, mit einer ganzen Gesellschaftsschicht genauso wiederholen – zumindest denkbar erscheint das auf den ersten Blick. Und es ist natürlich nicht Aufgabe von Romanen, so etwas zu erörtern; sie fabulieren. Das kann man interessant, abstoßend oder einfach nur blöd finden.

Handwerklich ist es gerade so gut, dass man die Fiktion anzuerkennen vermag. Als Geschichte, als Fortsetzung der mit musil’schen Hieben begonnenen Geschichte, taugt sie nicht. Inzwischen hat sich bereits zu viel Müll, der nicht in eine Geschichte wie diese gehört, angehäuft. Und ihre Auflösung kommt geradeso daher, wie Heraklith sagte:

ein Haufen zurfällig hingeworfener Dinge ist die schönste Weltordnung.

Als Roman ist das Buch in kaum noch zu überbietender Weise schlecht gebaut. Es ist nicht langweilig, im Gegenteil, man hat es rasch durch; allein, man fühlt sich, als hätte man englisches Gemüse gegessen: in Wasser totgekocht. Salzlos.

Was hängenbleibt, und was man womöglich diskutieren kann, ist die Frage, ob der Riss, der sich in unserer Gesellschaft entlang der Altersgrenze der Pensionierung allmählich zeigt, zu einer weiteren Verhärtung der Fronten führen wird, sodass irgendwann einmal eine Entscheidung herbeigeführt werden wird müssen, zu wessen Lasten dies System der bezahlten Untätigkeit gehe; und ob unsere Demokratie, ihre repräsentative Form genauso wie das Prinzip der gleichwertigen Stimmen, damit fertig zu werden sich gewappnet zeigt.

Die momentane Vogel-Strauß-Politik der Entscheidungsträger, das permanente Aufschieben auch nur der Anerkenntnis der Tatsache, dass es ein Finanzierungs- oder besser Distributionsproblem gibt, ist wohl nicht geeignet, hier ein gutes Ende anzunehmen.

Das ist natürlich hoch entzündlicher Stoff! Zumindest im geistigen Sinn.

Blauäugig könnte man davon ausgehen, dass unsere Produktivität rasant weiter steigt, sodass die wenigen die vielen problemlos weiter erhalten werden können; doch dem steht entgegen, dass das heute schon nicht mehr friktionsfrei geht, denn die Aufwände übersteigen die Lust der Finanzierenden bei weitem.

Daraus ergeben sich zwei mögliche konträre Konsequenzen: die Unproduktiven kriegen weniger zum Jux, weil es schon genug kostet, sie zu füttern und medizinisch zu versorgen, oder die Produktiven, die klügeren unter ihnen, hauen ab – ob nun in ein fernes, von diesem Problemen unbetroffenes Ausland oder einfach in den Müßiggang, der gleichfalls stark gefördert wird, kann dahingestellt bleiben. Ein Rückgang der Lust an der Produktion wird jedoch gleichfalls zu einer Verarmung führen.

Vielleicht ist das Szenario der Verarmung das wahrscheinlichere, denn es kommt der Neigung der handelnden Politiker entgegen, gar nichts zu tun und abzuwarten; es ereignet sich quasi von selber und kann als Naturgewalt interpretiert werden, für die keinem die Schuld anzulasten ist.

Wir können dieses Szenario natürlich auch Turbokapitalismus oder Globalisiserung nennen, denn die hohen Kosten der sozialen Gesellschaftsordnung, wie sie sich heute in Europa darstellt, drängt nicht nur abstraktes Kapital dazu, sich woanders nach Erträgen umzusehen, sondern bereits auch Individuen, die dem Frieden nicht mehr trauen. Die Aussage, dass hierzulande keine Zukunft mehr zu finden sei, ist denn auch von sehr vielen zu hören, die einstweilen noch nicht ans Auswandern denken.

Der Egoismus legt uns heute nahe, uns eine Beschäftigung zu suchen, die uns auch noch, wenn wir in Pension sind, die dann womöglich karg ausfallen wird, ernähren kann. Wer das mit dem Zins seiner Kapitalanlagen bewerkstelligen zu können glaubt, wird rasch erkennen, dass er damit Rädchen im Getriebe der Gegenbewegung ist: sein Kapital muss fortgeschafft werden, damit es hier nicht von den anderen Alten aufgezehrt wird. Zugleich reduziert jede Steigerung der eigenen Ertragskraft jene der Allgemeinheit in den betroffenen Ländern.

Die Frage ist aber: welche Auswirkungen hätte eine Verarmung breiter Schichten bei uns auf den Produktionsausstoß anderer Regionen, wenn wir nämlich die Waren nicht mehr kaufen werden?

Die Lösung ist vermutlich recht einfach: wir müssen darauf verzichten, uns so früh in die gemeinfinanzierte produktive Untätigkeit zu verabschieden; wir müssen dem Produktionskreislauf länger erhalten bleiben. Und zwar trotz Kreuzstechen und Magenweh! Solche Ausreden sind es ja heute schon, die eine gesetzliche Altersgrenze für den Ruhestand zur leeren Gesetzeshülse haben verkommen lassen.

Da man andererseits die Leute ja nicht zwangsweise beglücken soll, bleibt mit als Individuum nur die Umsetzung meines eigenen Egoismus – indem ich mich wappne und mit dem Gedanken vertraut mache, dass ich länger als bis 65 werde schaffen müssen.

Wenn dies schriftstellerisch wahrhaft schlechte Buch Ernst Brauners wenigstens erste Gedanken über diese Problematik provoziert, dann kann man es als bescheidenen Gewinn verbuchen. Es sei denn, man wäre der Ansicht, dass das alles ja sowieso nicht so kommt, wie es heute scheint.

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