Er wurde in eine Übergangszeit hinein geboren: 1792 tobte in Paris und ganz Frankreich der Große Terror, seine Geburtstadt Pesaro war längst in die Auseinandersetzungen zwischen dem Papsttum und den revolutionären Franzosen unter Buonaparte geraten. Musikalisch war man, nach dem langsamen Verebben des Barock in der sogenannten Vorklassik angelangt – Christoph Willibald Gluck hatte der Oper eine neue, zukunftsweisende Form gegeben. Gioachino Rossini selbst sollte einer der großen Komponisten in der Ära des nun folgenden Belcanto werden.
Vieles in Rossinis Opern weist noch Eigenheiten des Barock auf, die starke Verwendung der Koloratur oder das Fortbestehen der Da-Capo-Form in den Arien. Rhythmisch setzt er jedoch auf einfach Linien, über die er seine Gesangspartien baut – ganz im unterschied zu Händel, der auch im Orchestersatz noch Unberechenbarkeit und musikalisches Experiment bietet. Somit mag Rossini als Komponist für Sänger gelten, weniger als einer für die Oper.
Dass es trotzdem rund werden kann und sich mit einem seiner Lustspiele ein phänomenaler Abend verbringen lässt, liegt immer auch der Inszenierung: wird Rossini als Sängerfest aufgeführt, schleicht sich bei aller Begeisterung für hohe Töne rasch ein Gefühl des Mangels ein.
Zum Glück hat Bartlett Sher den Comte Ory an der MET als leichtfüssige Komödie inszeniert, mit viel Witz aus unzähligen kleinen Gesten, die sich harmonisch in die Gesangspartien einfügen und dennoch befreiend wirken. Hier kommt der Regie die stetige Wiederholung in der musikalischen Gestalt durchaus zupass: in aller Ruhe lässt sich über die Da Capos ein Faden von Interpretationen und Variationen spinnen, der gerade da, wo die Musik sich wiederholt, unaufdringlich seine Gags präsentiert.
Sanglich braucht die Oper, wie manches von Rossini, eine Riege hervorragender Stimmen: dem tenoralen Hauptpart des Grafen Ory stehen in der Gräfin Adele und dem Pagen und Rivalen Isolier zwei Frauen gegenüber, denen nicht minder Großes und Hohes abgefordert wird.
Die MET besetzt mit herausragenden Könnerinnen und Könnern: Juan Diego Florez begeistert mit hohen Cs und komödiantischem Spiel in den Ensembleszenen, obgleich ihm im ersten Akt keine glamouröse Arie zur Verfügung steht. Aber gerade die Duette bieten musikalische Juwelen.
Dagegen beginnt Diana Damrau als Gräfin Adele etwas verhalten, doch das könnte auch im Konzept der Regie begründet liegen. Sie läuft dann zu einer Hochform auf, die jeden Jubel rechtfertigt. Aber auch ihr Spiel, das eingangs hölzern wirkt, wird schließlich im Sog des Geschehens und der Maskeraden flüssiger und geradezu pointiert.
Meine absolute Favoritin jedoch ist der Isolier von Joyce DiDonato – gesanglich prägnant, hervorragend herausgearbeitet und dabei burschikos und witzig. Ihr hat Rossini zum Glück genügend Bühnenpräsenz verordnet.
Nicht von minderer Qualität auch die flankierenden Rollen der Ragonde – ganz bezaubern und stimmstark Susanne Resmark – sowie des Raimbaud, der von Stéphane Degout prägnant und mit – durchaus passend – brachialem Humor verkörpert wird. Daneben wirkt Hauslehrer Michele Pertusi eher schwerfällig.
Lebt die Oper von ihren Solisten, so ist doch das Ensemble tragend: Rossini hat einige Passagen für größere Gruppen geschrieben, die nicht minder zu den Höhepunkten gerechnet werden dürfen, vor allem das Trinkgelage der Nonnen im zweiten Teil.
Dass die Geschichte im Mittelalter spielt, hätte bei weniger inspiriertem Leading Team vielleicht zu einer intepretatorischen Vergewaltigung geführt, Bühnenbilder Michael Yeargan jedoch hat sich eines einfachen, aber schlichtweg genialen Einfalls bedient: er stellt eine Bühne aus der Zeit Rossinis als offene Platfform in den Bühnenraum der MET und löst somit die Spannung zwischen Mittelalter und Moderne geschickt auf. Die Kostüme von Catherine Zuber nutzen geschickt die vermittelnde Position des Settings und spielen mit mittelalterlichen Versatzstücken, ohne ganz und gar in allzuviel Anleihen zu versinken.
Das Orchester der MET dirigiert Maurizio Benini und bleibt dabei so zurückhaltend, wie das für die Stimmen am vorteilhaftesten ist.
Insgesamt ein überaus lustiger Abend mit herausragenden Sängern – und wieder beweist sich, dass Oper Live in HD eine besondere Kategorie des Genusses ist, die wir in den nächsten Jahren noch rasant an Bedeutung zunehmen sehen werden. Einige wenige Bildstörungen sowie kurzzeitige Mikrofonausfälle können, auch wenn sie bedauerlich sind und im Moment ihres Auftretens gewaltig stören, nicht darüber hinweg täuschen, dass enge Sitze und wacklige Stühlchen, stickige Luft und der Mottenkugelgeruch so mancher alter Abonnenten im Opernhaus – speziell dem am Ring – genauso Belästigungen darstellen.