Manche Philosophen brauchen neue Sprachen, um ihre Gedanken auszudrücken. Das legt den Schluss nahe, dass sie nicht in der herkömmlichen Sprache denken können.
Oder wäre etwa einfach die Sprache nicht ausreichend für die Komplexität der Philosophie? Nicht präzise genug, ein Alltagsding, das für die hohen Anforderungen des philosophischen Diskurses nicht hinreichend genau wäre? Diesen Eindruck kriegt man, wenn man beobachtet, wie etwa Heidegger Neuschöpfung auf Neuschöpfung tümt, um sich auszudrücken.
Ein besonderes Beispiel für diese Form der Sprachkrankheit gibt der französische Philosoph Alain Badiou in Das Sein und das Ereignis. Und das gilt nicht einmal nur für die deutsche Übersetzung – gerade die aus Gründen der Präzision eingefügten Original-Termini aus dem französischen Original verdeutlichen, dass Badiou auch in seiner Muttersprache das Auslangen nicht mit existierenden Worten findet.
Im Grunde aber wird mit diesen Wortneuschöpfungen nichts gesagt. Man kann aber herauslesen, dass Badiou der Meinung ist, das Eine existiere gar nicht, nur die Vielheit – um damit ein seit der Antike bestehendes Dilemma der Ontologie zu beseitigen. Damit untermauert Badiou seine zentrale These, der Diskurs der Ontologie sei im Wesen mathematisch – also nicht das Sein selbst, sondern der ontologische Diskurs. Und er bezieht sich dabei auf erstaunliche Quellen:
Von Platon zieht er den Parmenides heran,. seinen in seiner Bedeutung dunkelsten Dialog. Von Aristoteles die Physik. Von Spinoza die Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Pascal. Leibnitz. Heidegger. Lacan.
Dummerweise bleibt trotz manch erstaunlichen Gedankens auf über 500 Seiten ziemlich unklar, worauf der Philosoph dabei hinaus will. Einmal angenommen, wir akzeptierten, dass der Diskurs über die Welt als ein mathematischer Diskurs zu führen wäre. Was hätten wir gegenüber den Bemühungen des Wiener Kreises dazugewonnen?
Im Falle von Badiou: eine Fülle neuer Wörter!
„Vielheit“ heißt in der Tat die Präsentation, so wie sie rückwirkend als nicht-eine [non-une] erfasst wird, sobald das Eins-Sein [l’être-un] ein Ergebnis ist. Aber „Vielheit“ heißt auch die Zusammensetzung der Zählung, also die Menge als „viele Einsen“ [plusieurs-uns], welche durch den Vorgang der Struktur gezählt werden. Es gibt eine träge Vielheit, die der Präsentation, und eine zusammengesetzte Vielheit, welche die der Zahl und des Effekts der Struktur ist.
Natürlich ist die Sache nicht so einfach: Wittgensteins Diktum, dass man besser schweige über das, wovon man nicht reden könne, blendet das Bedürfnis aus, dennoch darüber zu reden, denn Denken ist eine Form des Redens, und das mußte Wittgenstein selbst in seinen Jahren in Cambridge zugestehen, indem er weiter nachdachte. Doch Badiou ermangelt es eines Bewußtseins dieser Grenze, die er immer wieder zu überschreiten trachtet:
Das Sagbare des Seins ist vom Sagbaren der Wahrheit getrennt. Aus diesem Grund denkt allein die Philosophie die Wahrheit, und zwar in dem, was sie vom Subtraktiven des Seins selbst subtrahiert: das Ereignis, das Ultra-Eins, die zufällige Prozedur und ihr generisches Resultat.
Eine der Krankheiten der Philosophie scheint es zu sein, dass sie vollkommen ohne Auftrag dennoch über Finanzen verfügt. So verfällt sie bisweilen in Glossolalien, wenn sie sich bemüht, ein Problem zu lösen, das sich bei geradliniger Nutzung der Sprache womöglich gar nicht erst zu stellen brauchte. Badious Leistung ist es, auch die Mathematik in diesen Strudel hineingezogen zu haben.
Ein Gedanke zu “Glossolalien des Geistes”