Im Morast der Spitzfindigkeiten

Da treten zwei, auf die wir beide getrost verzichten können, gegeneinander an – vielmehr der eine gegen den anderen, der von seinem Angriff ja noch nichts weiss: der Grazer Philosophieprofessor Peter Strasser brät dem neurowissenschaftlichen Sterndeuter Thomas Metzinger im Spectrum der guten alten Presse eins über.

Merke: ich habe hier gezielt nicht Philosoph und nicht Neurowissenschafter gesagt.

Metzinger hat ein banales, doch recht marktschreierisches Buch – Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik – im Windschatten der Erkenntnisse und Debatten der Neurowissenschaften geschrieben: gut, das kann und darf man kritisieren und auch, je nach Gusto, verdammen oder zerpflücken. Es ist nicht der Rede wert, es ist noch nicht einmal ein Debattenbeitrag – es bleibt hinter der Debatte zurück. Und damit könnte man es gut bewenden lassen.

Metzinger argumentiert nicht unähnlich dem Populisten, der ein tieferes Problem dadurch auszumerzen vorgibt, dass er eins seiner Symptome mit der Wurzel ausreisst. Weil viele Ergebnisse der Neurobiologie nahelegen, dass da nichts weiter sei als die physiologischen Vorgänge in einem biologischen Organ, dem Gehirn, beschliesst Metzinger, die Welt baue sich rund um eine rein virtuelle Ich-Perspektive herum auf; wir befänden uns in jenem Ego-Tunnel, dem wir nicht entrinnen könnten, dabei, uns eine Aussenwelt zurecht zu fabulieren.

Er stürzt sich damit Hals über Kopf ins eine Extrem: die Welt ist nicht. Strasser dagegen fabuliert – mit Descartes – von einem Selbst, oder Ich, welches sich selber erlebe. Womit dann schon bewiesen wäre, dass da auch was ist. Zum Gegenteil dessen, was Strasser Metzinger vorwirft: dieser nehme die Tatsache der Konstruiertheit unserer Wahrnehmungsinhalte zum Anlass, gleich alles abzuschaffen.

Das ist insoferne höchst problematisch, als es sich bei phänomenalen Entitäten wie Selbst oder Ich um zwar seit Jahrtausenden behauptete, aber nirgends dokumentierte und wissenschaftlich auch gar nicht greifbare Dinge handelt. Diese Suppe wird zwar reichlich eingebrockt und gelöffelt, ist aber nichts desto trotz noch immer so dünn wie vor fast dreitausend Jahren.

Darüber könnte man hinwegsehen: die Diskussion ist dumm und obendrein verspätet. Die ganze Frage wird der Philosophie – wie zuvor die Kosmologie, die Physik und so manches andere Wissensgebiet, zu dem sie einst begann, die Fragen zu stellen – alsbald weggenommen werden. Mit Fug und Recht.

Das schmälert nicht die Verdienste der Philosophie, ganze Disziplinen erst auf den Weg gebracht zu haben. Es hat aber auch Methode: Philosophen sind nicht in der Lage, Probleme, die sie erkennen, auch zu lösen. Philosophen geben sich – gern oder weniger gern – damit zufrieden, wenn die Luft, die sie produzieren, zumindest heimelig warm bleibt.

Wo Metzinger sich ins Total-Subjektive begibt, springt Strasser beidbeinig in den Morast der Spitzfindigkeiten:

Das Gehirn, von dem die Wissenschaft behauptet, es sei Teil der äußeren Wirklichkeit, ist stattdessen ein von uns konstruiertes „Modell“, das sich ausschliesslich auf die uns zugänglichen Illusionen im Ego-Tunnel zu stützen vermag. Auch unser Gehirn wäre demnach nur ein auf Illusionen gebautes Konstrukt unseres Gehirns, letzten Endes eine sich selbst erzeugende Illusion.

Einmal abgesehen davon, ob das bei Metzinger so steht – ich weigere mich, sein populistisches Buch zu lesen, man hat schliesslich nicht für alles und jedes Zeit -, wirft Strasser doch geflissentlich Begriffe durcheinander und wählt seine Worte mit hinterlistigem Bedacht:

Das Problem, das Strasser da im Magen zu liegen scheint, existiert nicht, wenn man nicht böswilligerweise das Gehirn als körperliches Organ mit dem Gehirnmodell, das sich jedes Nachdenken darüber zwangsläufig bildet, in eins wirft. Dieser Kreis ist so aber nicht zu schliessen.

Wenn daher Strasser seinen Aufsatz mit der Diagnose – gleich gegen die gesamte Neurophilosophie gerichtet, jedoch nur nominell, denn real meint er die Neurowissenschaften – schliesst: Überwertigkeitsgefühl, dann versucht er mit diesem Taschenspielertrick vergessen zu machen, dass er derjenige ist, der da im Glashaus sitzt. Die Philosophie kämpft mit ihrer Inkompetenz, deren Auflösung – nach Odo Marquardt – allein eine Form von Inkompetenzkompensationskompetenz wäre. Der gegenständliche Versuch ist allerdings als gescheitert abzuwehren: Strasser hat zum Thema nichts zu sagen.

Nur weil man diese Art von Spielen spielen kann, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch von Relevanz sind. Und dass es, ähnlich wie für Theologie, auch für Philosophie akademische Dotationen gibt, beweist nicht, dass es nicht genausogut ohne ginge.

Die leidige Situation der Philosophie macht zwar Metzingers Buch nicht besser, aber ein „Einspruch“ in der Art von Strasser tut gar nichts zur Sache.

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