Als zwölfjähriger erlebte der brugenländische Jude Jonny Moser den Anschluss Österreichs an Nazideutschland – und musste die Jahre des Kriegs in Ungarn durchstehen:
Unter dem Titel Wallenbergs Laufbursche hat der Historiker seine Jugenderinnerungen 1938-1945 vorgelegt.
Minutiös beschreibt Moser die sofortige Zerstörung der jüdischen Gemeinden des Burgenlands; ging die Arisierung in Österreich generell beinah über Nacht über die Bühne, so scheint sie außerhalb Wiens noch dadurch beschleunigt worden zu sein, dass die Juden in ihrer Funktion als Nahversorger und Händler die ideale Angriffsfläche boten: hatten die einen Schulden bei ihnen, weil sie anders als viele arische Kaufleute auch während der Wirtschaftskrise anschreiben ließen, so gierten andere nach den gefüllten Warenlagern, denn früh im Jahr wurden Waren zu günstigen preisen gekauft, um sie dann später, wenn mit dem landwirtschaftlichen Jahreszyklus die Einkünfte der ländlichen Bevölkerung anfielen, gewinnbringend zu verkaufen. Leichte Beute für skrupellose Ariseure.
Moser zeigt in diesen Kapiteln aber auch, wie wie verschiedene Dienststellen des NS-Staates gegeneinander und an einander vorbei arbeiteten, wie einzelne Funktionsträger ihre eigene Bereicherung betreiben konnten und sich hinter ihren Funktionen sicher fühlten. Dennoch kam es im Burgenland zu Untersuchungen, Gerichtsverfahren und sogar Verurteilungen wegen privater Bereicherung – was aber keineswegs dazu führte, dass die entrechteten Juden etwas davon jemals wieder gesehen hätten. Es gibt anderen Armen der NS-Bürokratie darum, sich der Werte zu versichern.
Ungarn war in jenen Jahren nicht weniger judenfeindlich, wenngleich bedeutend weniger radikal. Wie überall hatte man auch in Budapest mit den mittellos vertriebenen Flüchtlingen wenig bis gar keine Freude. Die radikalen Judenfeinde waren in Ungarn zunächst weniger stark vertreten, erst im Strudel der Niederlage im Osten und angesichts des Näherrückens der roten Armee gewannen die ultraradikalen Pfeilkreuzler die Oberhand – und mit ihnen die deutschen Spezialisten um Eichmann. Als eine der letzten Populationen wurden die ungarischen Juden erst 1944 von der Vernichtungsmaschinerie erfasst – und eine mehr als tausend Jahre alte Kultur vernichtet.
In den letzten Monaten des Kriegs beschreibt Moser die Mehrzahl der ungarischen Zivilbevölkerung wie auch der einfachen Soldaten nicht bloß als kriegsmüde, sondern in hohem Grad desinteressiert, was sich auch auf die Anordnungen der eigenen Regierung erstreckte – sie wurden schlicht nicht befolgt. Man wartete auf die Rote Armee, während die meist dem Landproletariat entstammenden Pfeilkreuzler die Strassen beherrschten und ungeniert Jagd auf die Juden machten.
In diesem letzten Kriegsjahr tauchte der Schwede Raoul Wallenberg in Budapest auf und errichtete aus dem Nichts eine beachtliche Hilfsaktion für die plötzlich von der Vernichtung bedrohten Juden. Der adoleszente Jonny Moser macht seine Bekanntschaft und wird bald zu seinem Mitarbeiter: er erledigt Wege, bringt Demarchen ins ungarische Außenministerium, bemüht sich, Kontakt zu halten und immer wieder in letzter Minute Menschen vor der Deportation und Ermdorung zu retten.
Hier entsteht das Bild einer vollends absurden Situation: während schon die Rote Armee weite Teile Ostungarns besetzt hält und in die Vorstädte von Budapest eindringt, kämpfen die Juden einen nahezu aussichtslosen Kampf ums bloße Überleben. Auch im Angesicht des eigenen Untergangs haben die deutschen und ungarischen Rechten wenig andere Anliegen, als sich der Juden zu entledigen – mit dem feinen Gespür des Historikers legt Moser allerdings die Triebfedern so mancher Mörder wie Helfer frei: es ist einerseits die Angst vor der Rache, da doch die eigene Niederlage irgendwann definitiv unabwendbar scheint, andererseits die Vorsorge, das Sammeln von Gutpunkten für die Zeit nach der Wende.
Enttäuschend fällt auch die Rückkehr nach Wien aus: hier ist man inzwischen mit der Selbststilisierung als ausgebombtes erstes Opfer der Hitlerei beschäftigt. So schnell kann das gehen.