Von Diktatoren und Österreichern

Dieser Tage tönt aus allen Kanälen – im Hörfunk genauso wie im Fernsehen – wieder jener unerträgliche Sprachduktus, von dem man sich beileibe nicht vorstellen kann, dass man jemals auch nur einen Ton von dem akzeptieren möchte, was da pathetisch, martialisch, brüllend, mit gekünsteltem Hohn und falschem Schmalz in der Stimme in abgehackten Sequenzen aus Lautsprechern gebrüllt wird.

Da braucht es noch nicht einmal die Worte.

Es ist Gedenkzeit – und, als wäre das ein probates Deckmäntelchen für das Unterjubeln unsagbarer Sauereien, quäkt allerorten Hitlers Stimme: schrill in der schmierenkomödiantischen Übersteigerung von Zorn und Rachegelüst, zackig knapp um den Schein von Authentizität für seine Aussagen bemüht, als referiere er unwiderlegbare Fakten, kreischend vor Anbiederung.

Dieses Tonmaterial allein macht es schwer, zu glauben, dass reinen Herzens, sauberer Weste und bei intakter geistiger Gesundheit ernstlich jemals jemand dem glauben konnte! Oder ist das die in vielen Jahrzehnten allmählich gelernte Vorsicht vor dem, was schon einmal in der Katastrophe endete?

Aber auch die österreichischen Diktatoren Dollfuss und Schuschnigg klangen nicht unähnlich, von Mussolini gar nicht zu reden, bei dem nicht einmal die Wohllautung des Italienischen Milderung brachte.

Die sind allesamt Faschisten – man darf das den heutigen Christlichsozialen keineswegs durchgehen lassen, dass sie Dollfuss zum allerersten Naziopfer stilisieren und Schuschnigg zum tragischen Kämpfer gegen die Hitlerei. Tragisch ist vielmehr, dass sie programmatisch ganz wie Hitler, nur politisch von deutlich kleinerer Statur waren, gewissermassen die erfolglosen Zwillinge des Großen Diktators, die mir ihrem vollständigen Versagen einem halben Volk die Entscheidung, lieber Deutsche und Nazis werden zu wollen, recht leicht gemacht haben.

Die Nachwelt dankt es ihnen, denn wie schon Michel de Montaigne im Essai Über den Dünkel (in der brillianten Übersetzung von Hans Stilett*) feststellte:

So hat es auch seinen Vorteil, in ein höchst verderbtes Jahrhundert hineingeborn zu sein, denn man wird dann im Vergleich zu den Zeitgenossen wohlfeil für tugendhaft gehalten. Wer gegenwärtig bloß Vatermörder ist oder Kirchenschänder, gilt schon als Bieder- und Ehrenmann.

Natürlich ist Dollfuss weniger dämonisch als Göring, Schuschnigg ein Waisenknabe gegen Mussolini – und natürlich dieser nachgerade harmlos gegen Hitler. Geschenkt! Aber man darf daraus nicht im selben Atemzug ableiten, dass sie allesamt bloß Politiker und keine Verbrecher gewesen wären.

Man muss nicht nachtragend und Sozi sein, um den einen für einen Arbeitermörder und den anderen – der 1934 immerhin als Justizminister für die justizielle Ermordung von Arbeiterführern die persönliche Verantwortung trug – für einen nicht minder blutigen Diktator; selbst wenn sie beide ausgewachsene Betbrüder waren, gehen sie wohl kaum als gute Christen durch – oder nur in der verqueren Logik jener katholischen Kirche, die zuerst mit dem österreichischen Faschismus unter einer Decke steckte und gleich im März 1938 nichts Eiligeres zu tun wusste, als Herrn Hitler Heil zu wünschen…

Je mehr man darüber hört und nachdenkt, desto weniger wird es verständlich und verstehbar, was manche Leute damals geritten haben mag.

Es ist nachvollziehbar, dass sich Arbeitslose auf Arbeit in Deutschland freuen mochten und darob den Anschluss begrüßten; genauso ist einsichtig, dass man auf breiter Front – obwohl das alles schnurstracks auf einen neuen Krieg zulief, was auch gar nicht wenigen aufgefallen ist – trotzdem den Anschluss der eigenen Diktatur vorzog.

Aber das alles gibt noch lange keinen Grund ab, nächtens über seine Wohnungsnachbarn herzufallen, seine Zeitgenossen zu quälen und auszuplündern, sich an Mord und Totschlag zu begeilen. Das können nicht allesamt nur Psychopathen gewesen sein.

Man nennt diese Leute Österreicher. So jedenfalls haben sie sich dann nach 45 wieder selbst genannt.

* Diese bibliophile Ausgabe sämtlicher Essais gibt es bei Eichborn in der Anderen Bibliothek:
Michel de Montaigne - Essais (übersetzt von Hans Stilett)

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